Kategorie-Archiv: Aus der Gechichte

Aus der Gechichte

Das vergessene Gebäude

Karl Gong, der über die letzten Grundstückserwerbungen ein wenig den Überblick zu verlieren drohte, gerade auch, weil die Unangetraute ihm eben noch zu Weihnachten einige bis dato unverkäufliche Flurstücke in den Äußeren Vorwerken geschenkt hatte, erblickte auf einem Inspektionsgang, bewaffnet mit Navigationsgerät, Maßband, angespitzten Rundhölzern und Vorschlaghammer, im hinteren östlichen Bereich seiner neuerworbenen Position „An der Suhle 37/2a“ ein rätselhaftes Gebäude, fertigte einige Fotografien und Zeichnungen, brach durch die vernagelte Tür ein, fand rätselhafte Installationen vor, in deren Inneren ein Blinken und Fiepen von rastlosem, aber augenscheinlich vergeblichem Maschinenwirken kündeten, vernagelte die Tür sachgerecht, zog Mütze und Handschuhe über, stellte sich auf das Lenkbrett der Dieselameise, die er auf einem anderen Grundstück glücklich vorgefunden hatte, und gurkte hin zur Stasiunterlagenbehörde, um Einblick zu nehmen in eventuelle Stasiunterlagen, die sich mit dem rätselhaften Gebäude beschäftigen könnten, das er in einen artgerecht konstruierten Taubenschlag umzubauen beabsichtigte.

Kleines Abenteuer

Einstens raste Caroline
mit der neuen Limousine
(Premium-Gefährt Trabant)
übern Deich gleich auf den Strand,

warf das Boot vom Dach ins Wasser
(und die Grenzer wurden blasser),
paddelte bis Dänemark
(ihre Arme waren stark),

landete sodann in Gießen
(ließ sich davon nicht verdrießen),
schnappte sich den reichen Klaus.
Endlich ist das Märchen aus.

Kleine Bildbeschreibung

Im Rahmen der Kowaljow-Methode patrouillieren jeweils drei Werktätige auf einem klassischen UFO (mit Gasgriff wie beim Motorrad) über dem Betriebsgelände. Es besteht keine Helmpflicht, außer für Mitarbeiter, die Verschwörungserzählungen anhängen („Q“). Wenn in einer der Hallen etwas faul ist bzw. „stinkt“, überprüft die Patrouille, ob das Dach des Gebäudes ordnungsgemäß aufgeklappt ist, damit der unangenehme Geruch entweichen kann. Wenn nicht, muss der stets an Bord befindliche vierschrötige Schrat hinabsteigen und das Dach öffnen. Alle UFO-Piloten erhalten diverse Gefahrenzulagen, so können sie sich auch beim Friseur das teure Ondulieren des Haupthaares leisten. Das Bild ist sehr anschaulich gezeichnet, besonders das Klappdach, und es regt mich zum Nachdenken an.

Kurzer Bericht

Wir warteten ewig auf den Kellner, um unsere Bestellung aufzugeben. Die feine Ironie, mit der wir vier Echte Schildkrötensuppen bestellten, bemerkte er nicht, so beschäftigt war er mit seiner Erschöpfung vom Abend zuvor. Also orderten wir noch vier Rumpsteaks, um das Preisleistungsverhältnis maximal auszureizen, doch auch diese Provokation nahm er völlig ungerührt zur Kenntnis. Ein Profi. Dass er uns schließlich zweimal Tatar, einmal Eiersalat und einmal Kaviar-Eier servierte, nachdem wir mit vier Soljankatellern vorlieb hatten nehmen müssen (die Schildkröten waren entflohen, zu schnell für den Koch), schoben wir auf die drei Stunden, die zwischen Bestellung und Auslieferung lagen. Aber wir hatten inzwischen so viel armenischen Wein intus, dass uns nichts aus der Ruhe bringen konnte und wir jede Zumutung mit einem glücklichen Lächeln quittierten.

2/2 Eier

Anfrage an Radio Jerewan: Ist es möglich, zu Gedeck III vorsorglich noch eine Suppe und eine Vorspeise zu ordern, für den Fall, dass ich nach dem Verzehr des Fruchtsalates noch ein gewisses Hungergefühl verspüre? Schließlich weiß ich ja nicht, wie groß hier die gereichten Karpfen und Rumpsteaks sind.

Antwort: Im Prinzip ja, aber die Russische Soljanka gibt es nur zusammen mit den 2/2 Eiern „Russische Art“.

Am Weihnachtsabend

Karl Gong, stets dem maximalen Wohlergehen seiner Unangetrauten verpflichtet, hatte, um dem ewigen Gleichmaß des Lebens, speziell über die traditionsbeladenen Weihnachtsfeiertage hinweg, etwas entgegenzusetzen, ein Zeichen, ein Erlebnis, unvergessliches, eine Überraschung, in der „Schnellen Ecke“ im Nachbardorf zwei Karten für das Weihnachtsabend-Event erworben, online natürlich, per Kreditkarte und Abstandsregel, ohne nähere Informationen, auch er würde sich gern überraschen lassen, was denn geboten würde, tanzende Weihnachtsmänner, tüllumschwebte Engelchen, ausgereichte Päckchen, die wahlweise, je nach Stammeszugehörigkeit, in handbemaltem Packpapier, Silberfolie oder phosphorezierendem 3D-Wrapper eingewickelt wären, ein glänzendes Fest stand an, so glaubte er, und war spätestens dann gelinde enttäuscht, als Frau Huhn, die Besitzerin der „schnellen Ecke“, die Abendkarte schwungvoll vor dem gerade noch wohlgestimmt-verliebten Paar abwarf und im selben Moment der einarmige Herr DJ Erwin Pacholski die erste Polonaise des Abends aus den Boxen jagte; die Holde bestellte geistesgegenwärtig vier Orangen und acht Portionen Gewürzgurken, womit das Umfassen der Schultern der Polonaisetänzer zumindest für die Zeit des Verspeisens aus Reinlichkeitsgründen verunmöglicht wurde, und danach würde man weitersehen, auf der Damentoilette oder anderswo.

Das schlampige Sonett von der Kälteschlacht

In Zwickau ist die Schlacht noch offen.
Man kann nach den Erfolgen hoffen,
dass Kohle in die Öfen wandert.
In Halle aber bös mäandert

die Saale durch die kargen Auen.
Das Wasser fehlt nun in den Kauen,
in Wannen und in Eiscafés.
Ein Glück: Es gibt noch kaum WCs,

ihr Segen ist fast unbekannt
im sachsenanhaltischen Land.
Die Regel ist das Plumpsklosett.

Doch hat man Steinkohle zur Hand
und glüht im Ofen still der Brand,
so ist es auch in jenem nett.

Der Absturz

Aus dem Wald hervortretend, eine Hand am Wegbier, gab der Boden unter seinen Füßen plötzlich nach. Geistesgegenwärtig klammerte er sich mit der freien Hand an das Schild „Betreten verboten! Absturzgefahr!“ und segelte zusammen mit diesem hinunter auf den Strand. Die Thermik war günstig, eine mit weichen Gräsern bewachsene Schräge bremste den Aufprall, alle Knochen blieben heil, selbst die Bierflasche trug keinen Schaden davon (0,08 € Pfand), abgesehen vom aufschäumenden und dadurch leider dem Genuss entzogenen Getränk. Der Wanderer spülte die Kreide in seinem Maul mit den letzten Tropfen aus der Flasche weg, zog die Schnürsenkel fest, fand das Telefon, das er beim hektischen Griff nach Halt hatte fallen lassen, fertigte ein Selbstporträt mit der Absturzstelle im Hintergrund an und musste mit dem Hochladen desselben in die Netzwerke warten, bis er die nächste nennenswert bewohnte Ortschaft erreicht hatte.

Ein Kriminalromananfang

Mir war, als wäre ich nicht ganz beisammen. Nein, nicht der Kopf, ich repetierte das angenommene Damengambit, das mir vor einer Woche gegen Grizzly Joe einen Überraschungserfolg im dritten Anlauf beschert hatte, bis zum 27. Zug fehlerfrei. Nein, das rechte Bein machte mir Sorgen. Gleichgewichtsstörungen. Kribbeln in der rechten Hand, Taubheit. Polyneuropathie? Ich sah mich schon zum Wunderheiler rennen, aber vorher galt es noch etwas zu erledigen. Scarface Judah war aus dem Knast entlassen worden, und ich hatte ihm ein paar Takte mitzuteilen. Ich spürte den kalten Griff der Beretta. Zum Glück bin ich Linkshänder. Aber an einem Tag wie diesem kann alles schiefgehen. Ich sah auf den Kalender. Mist. Na klar.

usw. usf.

Das schlampige Sonett vom Belemniten

Belemniten sind sehr alt.
Unterhalb vom Granitzwald
liegen sie im Kreidemeer.
Ostwind spült sie zu mir her.

Dreihundertmillionen Jahr
alt die Spitze, die einst war
Schwanz von einem Tintenfisch.
Doch der Grieche glaubt das nisch:

Heißes Öl zischt in der Triefe,
Kalamares aus der Tiefe
werden goldne Gummiringe.

Steinig ist der Väter Erbe,
ehe ich vor Hunger sterbe:
Ouzo! Gabel! und ich schlinge.

Kleine Bildbeschreibung

Die Stschokino-Methode als Begriff weckt bei ungebildeten Betrachtern fehlleitende Assoziationen (Schoko, Kino), deshalb versucht der Zeichner mit übermäßigem Worteinsatz die Aufmerksamkeit des Betrachters zurückzugewinnen. Man erkennt einen Dirigenten (soz. Leiter?), der mit geschlossenen Augen versucht, den dissonanten Chor der Geschäftsbereiche in Einklang zu bringen. Die Partitur besteht aus unverständlichen Worthülsen, es ist zu befürchten, dass die zusammengerollten, später aufzuführenden Stücke nicht einfacher werden. Der Chor gibt, ebenfalls mit zusammengekniffenen Augen (man kennt wohl alle Noten auswendig) sein Bestes. Die Arbeitsorganisation verleitet den Zeichner zu einem kleinen erotischen Exkurs, während die Frisur der Produktion tatsächlich nicht mit Locken aufwartet, ein Faktum, das mich zum Nachdenken anregt, aber nicht zu lange.

Die Triebkräfte der Produktion

„Wo man vereint Verstand mit Muskelkraft,
dort blüht der Weizen der Genossenschaft!“

Kaum hatte der kleine Herr Schönleben dieses schöne Gedicht von Fredo G. Winser-Schnellig, dem Cheftexter der Agentur, in einer hübschen Schriftart auf dem Flyer angeordnet, ploppte das hochrote, verpixelte Gesicht des Art Directors (im Hintergrund die Kommandobrücke eines Raumschiffs) auf seinem Bildschirm auf. Kurz darauf erschienen auch die verstörten Grimassen der Kollegen, die ratlos in ihre Kameras starrten.

„So, jetzt mal alles stehen und liegen lassen, ihr Rüben! Wir sind gehackt worden!“

„Hoho, von der Feldbaubrigade der Genossenschaft, oder was?“ brüllte der kleine Herr Schönleben und wälzte sich auf dem Boden, vergnügt über den gelungenen Witz. Leider waren er und Fredo die einzigen mit dem Flyer beschäftigten Mitarbeiter, so dass sein Scherz ins Leere lief. Der Art Director war glücklicherweise zu sehr mit seiner eigenen Wichtigkeit beschäftigt, als dass er sich die Zeit nehmen wollte, Schönleben zurechtzuweisen.

„Präzisiere: Unser verehrter Herr Geschäftsführer ist gehackt worden, während er, äh, das tut hier nichts zur Sache, ihr Runkeln! Jedenfalls ist ab sofort aus Sicherheitsgründen jeglicher Kontakt mit dem sehr geehrten Herrn Geschäftsführer bis auf weiteres untersagt!“

Ein unbeschreiblicher, vielstimmiger Jubel stieg daraufhin aus den Kehlen der Belegschaft auf, hell und entschlossen, freudig und unversiegbar, so dass selbst der Art Director nach anfänglicher Irritation fraternisierte und mit aufgerissenem Maul einstimmte. Goldene Tage standen ins Haus ohne Schikane, Überstunden und Gebrüll, man würde den sozialistischen Wettbewerb zelebrieren wie eine Polonaise der guten Laune, sich anerkennend über die Schultern der Kollegen beugen (rein virtuell), Flaschen mit Hell- und Kraftbier leerend entspannt den unweigerlich auszureichenden Prämien entgegenarbeiten. Ein goldener Herbst, Erntezeit, Freiheit, Brüderlichkeit.

„Es lebe der Hacker!“ rief der kleine Herr Schönleben, und alle, wirklich alle brüllten im Chor mit, bis pünktlich um sechzehn Uhr die Sirenen aus den quäkenden Laptoplautsprechern das Ende der heutigen Fron verkündeten.