Archiv für den Tag: 2. Mai 2019

Der sehr schöne Bahnhof

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Der sehr schöne Bahnhof scheint mitten im Nichts zu stehen, nur umgeben von Autostraßen, damit der Reisende mit dem Auto zum Bahnhof fahren kann. Er kann aber auch mit dem Zug zum Bahnhof fahren. Will man im Bahnhof von einem Zug in einen anderen Zug umsteigen, muss man zeitig losfahren, weil man sonst wahrscheinlich zu spät kommt zum Umsteigen. Fährt man zu zeitig los, ist man immer pünktlich und muss lange warten.

Man besteigt das Vestibül des sehr schönen Bahnhofs durch eine der beiden geöffneten Seitentüren, es ist mit Imbissbuden versehen und zugig. Dann fährt man eine sehr lange Rolltreppe hinauf, wenn sie funktioniert. Will man nicht von den beiden oberen Bahnsteigen abfahren, rollt man wieder hinunter auf einen der acht anderen Bahnsteige. Das ist sehr schön für Leute, die gern Rolltreppe fahren. Die anderen sorgen sich, dass sie den Zug nicht schaffen, aber das ist meist unbegründet, denn auch dieser Zug ist verspätet.

Hat man im sehr schönen Bahnhof Zeit, kann man sich für Geld an einer der Imbissbuden, die auf der oberen Plattform stehen, etwas zu Essen kaufen. Der Verzehr kann im Stehen erfolgen oder auf einer stählernen Bank, die die Umgebungstemperatur angenommen hat. Die damit verbundene Verkürzung der Verweildauer ist im Interesse Aller. Durch die angebrachten Seitenwände des Bahnhofs ist es nur zugig, wenn der Wind aus bestimmten Richtungen kommt, anders als auf den Bahnsteigen, die nicht über Seitenwände verfügen.

Informationen zu Bussen, die nicht Eigentum des Bahnhofs sind, werden nicht erteilt (Konkurrenz). Auskunftspersonal für andere Fragen ist zu bestimmten Zeiten verfügbar, Verantwortliche verbergen sich in gesicherten Räumen. Die Informationen zum Zugverkehr werden per Lautsprecher ventiliert. Meist korrigiert man die geplanten Wagenreihungen, die sich dann aber doch als korrekt herausstellen, weil der Lokführer heimlich gewendet hat.

Der Architekt des sehr schönen Bahnhofs war so begeistert von seinem Entwurf, dass er das Vestibül nicht nur an einer Seite desselben anbrachte, sondern auch an der anderen, mit identischen Seitentüren und Imbissbuden. Nur die bunten Klopsbratereien unterscheiden sich dem Namen nach, was dem Reisenden die Orientierung erleichtert. Fährt der Reisende eine Rolltreppe hinunter ins falsche Vestibül, bemerkt er dies erst, wenn er trotz langen Umherirrens das Parkhaus nicht findet, in dem er seinen Wagen abgestellt hat.

Der Bahnhof selbst ist durchgehend grau gehalten, um die trübe Stimmung der Reisenden nicht zu beschädigen. Auch die Umgebung des Bahnhofs ist grau und deprimierend, eine verwechselbare Einöde. Seit der Bahnhof da ist, will niemand mehr hier wohnen, der es noch bis dato ausgehalten hat. Schaudernd tritt der Reisende nach Anblick der Umgebung zurück in den Bahnhof, labt sich an einem Imbiss, sucht nach Personal und bemüht sich, so schnell wie möglich weit weg zu kommen. Das ist der Zweck des sehr schönen Bahnhofs.