Archiv für den Tag: 11. Oktober 2019

Am Bärengraben

baerchen

Karl Gong, dem die Dummheit und das Geschrei einiger seiner Mitbürger zunehmend die Tage schwärzten, verlegte sich darauf, statt des Wirtshauses häufiger den über kleine Umwege erreichbaren Bärengraben aufzusuchen, um Ruhe und Entspannung zu finden, denn die Bären, so schien ihm, wussten zu leben, zwar auf relativ beengtem Raum, unter Aufsicht und mit streng zugeteilter Nahrung, aber sie gingen sich aus dem Weg, wenn es nicht gerade etwas dringendes auszumachen gab, lagen friedvoll auf dem Bauch und blinzelten den Bienen nach, von deren Honig sie nichts wussten, und die es hier, in der mittelgroßen Stadt zwischen den herbstlich kahlen Feldern, gar nicht geben dürfte, und erst das Telefon, das die Holde ihm verboten hatte stummzustellen, holte ihn knarrend und trompetend in den misslichen Alltag zurück, der sich sogleich wie ein Popanz über ihm blähte und ihn, Gong, den bemitleidenswerten, anschnarrte, was aus dem Konsum zu besorgen sei: Brot, Käse, Wurst, Butter, Radler (wieso Radler?), Öl zum Braten, Hackfleisch, Küchenpapier, Zahnpasta; und mitten in dieser Aufzählung des Schreckens brachen die Langeweile und die Trostlosigkeit seines Lebens endgültig in Karl Gongs Gedärme hinein, füllten sie aus wie Teer die Lunge des Rauchers, und endlich, die Liste war zu Ende und bereits zur Hälfte wieder von ihm vergessen, kam er japsend zum Luftholen, wie ein herumgewirbelter Ertrinkender, der zufällig wieder über die Wasseroberfläche geraten war.

„Und Honig?“ fragte Karl Gong tonlos. „Was ist mit Honig?“

„Was willst du denn mit Honig?“ versetzte die Holde. „Honig ist noch.“