Archiv für den Monat: Januar 2020

Vom Hören

kopfhoerer

Zu den Guten Vorsätzen für das Neue Jahr, die Karl Gong bereits in der ersten Woche zu den Akten gelegt und damit ein für allemal als irrelevant aussortiert hatte, gehörte jener, den Einlassungen seiner Unangetrauten endlich einmal zuzuhören bzw. überhaupt „zu hören“, eine permanente Aufforderung, die stets mit den drohend ausgestoßenen Phrasen „Jetzt hör mal her“, „Höre mal“, „Würdest du mir mal zuhören“ eingeleitet wurde und Gongs Nerven aufs Äußerste spannte.

Gleichwohl hatte er in der schwachen ersten Stunde des Jahres, in die Arme jener geliebten Frau gepresst, zugesagt bzw., wie später von ihr behauptet, „geschworen“, als unumgängliches Vorhaben DAS HÖREN in seinen Jahresplan der auszuführenden Großtaten aufzunehmen, Großtaten allerdings nur für ihn, selbstverständliche Pillepalle für die unersättliche Gefährtin.

Egal, das Vorhaben war bereits im Ansatz gescheitert, denn zwar fand sich das Behältnis des technischen Utensils ganz hinten im Küchenschrank, aber die Hörer waren verschwunden, wahrscheinlich ausgemistet, dafür lagen fein säuberlich gestapelte Servietten im Karton.

‚Nicht meine Schuld‘, dachte Karl Gong und verschwand im Schuppen.

Abrupt beendete Ballade von der Germanentrine

Die Germanentrine
liegt gut konserviert
in der Glasvitrine.
Der Germane stiert
feuchten Schritts und Blickes
auf das Exponat.
Die Brillanz des Stückes
vor ihm im Ornat
aus Garniggelfellen!
Er erbricht den Schrein!
Die Alarme gellen,
und man fängt ihn ein,
Weibsbild umgewickelt.
Also ward verwehrt,
dass er sie zerstickelt
und auf Toast verzehrt.
Du-du, Allzuschlimmer!
Man bricht doch nicht ein
in die Staatsschatzzimmer!
Nein. Nein. Nein. Nein. Nein.

Im Tätowierungsstudio

konzert

Bevor ich in Ohnmacht fiel, sagte ich dem Tätowierer, er solle mir den Namen von der Band stechen, bei der ich am Vorabend im Konzert gewesen war, denn es hatte mir sehr gut gefallen. Nun ja. Es hätte schlimmer kommen können. NAMEN. Oder BAND.

Abgründe des Immobilienmarktes

neumarkt

Der Problembär hatte eine größere Menge Geldes zurücklegen können, indem er seinen Honig nicht mehr vom Bioimker abholte, sondern beim chinesischen Internethöker bestellte. Um die Millionen nicht sinnlos auf dem Konto vergammeln zu lassen, erwarb er unter Vermittlung eines Hinterwalder Kemenatenmaklers ein geräumiges Appartement für sich und seine Kühlschränke. Tagein, tagaus verbrachte er von nun an seine Zeit am Fenster, um den phantastischen Ausblick abzuwohnen, aber schon nach wenigen Wochen war er die Ansicht der umgebenden Gebäude leid. Sie erinnerten ihn doch ein wenig zu sehr an den Genossen G. A. Potjomkin und schienen einzig zu dem Zwecke aufgestellt, als Kulisse für abendlich röhrende Nachtwächter mit gackernden Touristenhorden im Schlepptau zu dienen, die ihm das Schlafen am offenen Fenster verunmöglichten. Der Problembär ließ abermals die Spedition kommen, zog in den Frauenruheraum seines Betriebes um und verkaufte das Appartement mit beträchtlichem Gewinn.

Im Grenzgebiet

grenzgebiet
Echtfoto mit bewaffneten Organen

Heute morgen kurz vor dem Aufwachen befand ich mich auf dem Weg zur Ostsee im Grenzgebiet zwischen DDR und BRD. Doch statt zwischen verwurschtelten Buchen das Meer schimmern zu sehen, wurde mir nur ein rasend schnell durchlaufendes Bild präsentiert, wie damals bei unserem alten Fernseher. Ich suchte den in meiner Erinnerung langen, dünnen, glattschwarzen Knopf (beinahe Zylinder, aber immer noch Kegelstumpf), der unbedingt gefühlvoll zu drehen war, um das stroboskopierende Bild in Mittellage zu zwingen. Ein feinmotorisches Vermögen, das nicht jedem in der Familie gegeben war, vergleichbar dem, eine TU 144 auf der Autobahn zu landen.

Als das Bild endlich stillstand, tutete nicht das Küstenschutzschiff, sondern der Wecker, und ich starrte die Fototapete an, die auch mal gewechselt werden könnte.

 

Neujahrsansprache

Durch den Patriotismus sind alle Völker der christlichen Welt bis zu einem solchen Grade der Vertierung gebracht worden, daß ihnen nichts eine größere Freude und Begeisterung gewährt als der Gedanke an vergangene und zukünftige Massenmorde. Der Patriotismus ist ein rohes Gefühl, weil er nur Menschen eigen ist, die auf der niedrigsten sittlichen Stufe stehen; er ist ein schädliches Gefühl, weil er die vorteilhaften und friedlichen Beziehungen zu anderen Völkern stört und eine Organisation hervorruft, bei der der Schlechteste die Gewalt an sich zu reißen vermag und es auch immer tut; er ist ein schimpfliches Gefühl, weil er den Menschen zu einem Kampfhahn, einem Stier, einem Gladiator macht; er ist ein unmoralisches Gefühl, weil ein jeder Mensch unter seiner Einwirkung sich für den Sohn seines Vaterlandes, für den Sklaven seiner Regierung hält, anstatt sich für ein Kind Gottes zu halten, wie es das Christentum lehrt.

Leo Tolstoi