Archiv für den Monat: Juni 2021

Von der Volkskunst

Karl Gong war ein wenig blümerant zumute, hatte ihn doch die Unangetraute so seltsam angesehen, irgendwie verheißungsvoll, wenn auch, wie immer, gleichzeitig ablehnend, mit diesem Blick in der Schwebe, der alles bedeuten konnte oder nur, dass mal wieder das Stroh unter den Pferden auszutauschen wäre, bitte, danke, aber davon war jetzt keine Rede, er spürte den Wunsch der Holden nach etwas besonderem, das er ihr, auf Knien am besten, überreichen könnte, um sie so gnädig zu stimmen, dass ein Abend bei gekühltem Weißwein in der lauen Sommerluft herausspringen könnte, Ausgang offen, und er kramte im Schuppen nach einem der Geschenke, die für diesen Zweck heimlich eingelagert waren, zum Beispiel eine im Erzgebirge gefertigte Holzplastik, sehr apart, er hatte extra ein Foto der Geliebten in einem Einschreiben mit Rückschein verschickt, und der Schnitzer hatte großartige Arbeit geleistet, sich einen entblößten Oberkörper hinzugedacht bzw. aus dem Modulbaukasten entnommen, das Gesicht gut getroffen und vor allem die Geste, dieses „mein Gott, Karl, was hast du nun schon wieder angestellt?“ ganz vorzüglich getroffen, wie ihm auch die überraschte Gnädigste bestätigte, als sie das Werk am Stall prangen sah, am vorbereiteten Haken, eine gelungene Aktion, in deren Folge tatsächlich unter lautem Ah und Oh die eine und andere Flasche Moselriesling entkorkt und zügig geleert wurde.

So war es natürlich nicht

„Wo ist denn die Nackttanzbar?
Weißt du noch? Im letzten Jahr?
Als ich in der Zone war?“
„Um die Ecke?“ „Ach, na klar!“

„Gut, wir sehen uns um zehn.
Muss nach den Hostessen sehn
und den Ossis Schrott andrehn.“
„Ach, wie ist die Messe scheen.“

Meine Meinung

Ich habe eine Meinung, 
die ist das A und O.
Ich hab sie aus dem Internet, 
ich hab sie aus dem Klo,

ich hab sie aus dem Horoskop
und aus der alten Socke.
Ich lach mir einen dürren Ast, 
wenn ich euch mit ihr schocke. 

Ich meine, und ich bin im Recht,
ich platz sie raus im Schwalle
und höre nicht zu reden auf. 
Ich quatsch euch alle alle.

Ich kotz mich in den Foren aus,
ich rülpse, furze, speie. 
In meinem Leben krieg ich sonst 
rein gar nichts auf die Reihe. 

Ich bin der Meinung edler Hort,
der Geist im Widerstand. 
Ich meine, ich bin immerklug, 
der größte Arsch im Land.

Mein Autokauf

Vor dem Kauf kann ein wenig Information, zum Beispiel zum Thema Sicherheit, nicht schaden.

Ich hatte keine Lust mehr, mich im Gelenkbus herumschleudern zu lassen und beschloss, ein Auto zu erwerben. Ich sagte zum Verkäufer, ich möchte damit von A nach B fahren. Er sagte, er habe da genau das richtige Modell. 

Das Auto war so hässlich, dass ich es aus Mitleid kaufen und sofort verschrotten wollte. Überall Kanten, Dellen, Furchen und Wülste, ein grässlicher Kühlergrill und statt Fenstern Sehschlitze. Es sah aus, als wäre es gerade aus Afghanistan zurückgeführt worden. 

„Der Wagen ruft selbsttätig andere Autos an und kommuniziert mit ihnen. Ist das nicht phantastisch?“

„Nein“, sagte ich, „ich will von A nach B“. 

„Außerdem können Sie vier verschiedene Filme auf die Frontscheibe projizieren, von acht verschiedenen Streamingdiensten. Gegen Gebühr können Sie weitere sechzehn Streamingdienste freischalten.“

„Was sind Streamingdienste?“ fragte ich.

„Der Wagen merkt sich alle Einstellungen, die Sie vornehmen. Wenn Sie sich in ein anderes Auto setzen, werden die Einstellungen genau so übernommen.“

„Auch im Gelenkbus?“

„Selbstverständlich! Und der Wagen fährt Sternchen, hohoho, in besonderer Ausstattung, hohoho, völlig autonom! Sie können Bratwurst essen, Ihre Börsengeschäfte erledigen, es gibt ja sogar Menschen, die noch lesen, wenn Sie verstehen, was ich meine. Ab jetzt im Wagen! Und wenn ein Opa auf die Straße rennt, erschallt die Hupe automatisch, und wenn der taube Alte nicht reagiert, mehrmals, und jeweils zehn Dezibel lauter.“

„Was ist mit den Bremsen?“ fragte ich. „Sind die Bremsen Achse-Achse getrennt?“

„Bei einem Unfall fragt Sie der Wagen, ob Sie ein neues Fahrzeug wünschen, gern auch mit Upgrade, oder ob Sie ab jetzt zu Fuß gehen möchten. Sie können aber auch eine größere Höchstgeschwindigkeit abonnieren. Weitere Optionen zuschaltbar.“

„Und die Lichtmaschine?“ fragte ich matt. „Wieviel Volt hat die Lichtmaschine?“

Der Verkäufer starrte mich mit offenem Maul an und begann zu weinen. Ich setzte mich in den nächsten Gelenkbus und ließ mich herumschleudern.

Nietnomaden

„So viele Nieten! Bin ich schon im Bureau?“ fragte sich der kleine Herr Schönleben und erwachte mit zuckenden Augen aus seinem Albtraum. Er versuchte, das soeben durchlebte Bild in seinem Kopf festzuhalten, was nicht gelang, deshalb fertigte er flink ein Aquarell in korrekter Perspektive an. Danach, beim ausführlichen Betrachten mit einer Tasse Schonkaffee in der Hand, war ihm wohler. Bei den Nieten konnte es sich auf gar keinen Fall um die Belegschaft seiner Firma handeln, denn sie waren alle gleich groß. Das hätte der Chef nie zugelassen! Und auch der impertinente Art Director, der eigentlich Schönleben hätte heißen müssen, wenn es mit gerechten Dingen zugehen würde, hätte darauf bestanden, durch eine größere Niete repräsentiert zu werden, halb so groß wie der Chef, doppelt so groß wie „das Team“, von dem immer geschwafelt wurde, wenn die Großkopferten wollten, dass die angesammelten Überstunden ohne Bezahlung gestrichen würden.

Trotz des genossenen Kaffees fielen dem kleinen Herrn Schönleben die Äuglein zu, er phantasierte noch eine Weile im Stehen von seinen Kollegen, die in Zweierreihe eine endlose, golden glitzernde Trasse entlangwanderten, immer der sonnengleich strahlenden, gigantischen Chefniete folgend, dann fiel er rücklings auf sein Heimarbeitssofa und wachte nicht wieder auf, bevor der besonders scheußliche Klingelton des Abteilungsmeetings den Raum erzittern ließ.

Wurst

Wurstspeicher (Beispielfoto)

Der Trend zum Veganismus ist ungebrochen, auch wenn die Leserbriefseiten der Lokalpresse langsam den Schlammsuhlen des sogenannten Internets Konkurrenz machen, wo sich die konservative Elite am bösen „liberalen“ Zeitgeist, der das Volk „diktatorisch“ unterjocht, abarbeitet. Zur Beruhigung: Man kann noch Wurst kaufen, einschlägige Speicher scheinen zu existieren. Ob in „Wurst“ allerdings noch Fleisch enthalten ist (oder jemals war), entzieht sich der Kenntnis der Redaktion.

Die Pflanzschalen

Die Bier vom Grantl und mir

Ich saß mit dem Grantl bei der Huberin. Da schenkt sie uns zwei so Pflanzschalen. Was soll ich mit Pflanzschalen? Außerdem viel zu klein! Passt nicht mal eine Kartoffel rein. Da sehe ich, es sind Kekse drin. Na, wenigstens was, aber sie sind festgeschraubt. Wieso schraubt sie die Kekse fest? Mache ich sie lose, die Schrauben fallen alle runter, weil so klein. Ein Geschrei und Nachsuche, aber sinnlos. Die Kekse sind gar nicht knusprig, außerdem sehr fad, geschmacklich. Sagt sie, die Huberin, warum ich die Dichtungen esse, und der Grantl, warum ich seinen Keks esse. Da werde ich zornig und frage, ob sie wenigstens ein Bier hat zum Runterspülen von dem faden Gebäck oder ob das auch im Kühlschrank festgeschraubt ist, und der Grantl muss nun doch lachen. Die Huberin ist dann auch wieder gut zu uns, weil wir die Bier schön trinken und die Pflanzschalen loben, auch ohne Dichtungen. Auf dem Heimweg fahren wir mit dem Grantl seinem BMW beinahe den Maibaum um, und dann werfen wir die Pflanzschalen in voller Fahrt auf das Auto vom Bürgermeister, der Sau, und treffen auch gut, sie taugen also doch, die hat die Huberin gut ausgesucht.

Erstauntes Langgedicht

Ich bin ein mecklenburger Kind.
Ich bin sehr gern alleine.
Bin nicht gern, wo die andern sind,
die klaun mir nur Bernsteine.

Sie überweisen mir ihr Geld,
doch können sie gern bleiben
auf ihrem fernen Pfefferfeld
und dort ihr Wesen treiben.

Sie führen Viren in sich mit,
sie fressen unsre Fische,
sie tanken unsern prima Sprit
und kacken in die Büsche.

Es wär so schön in unserm Land,
mit Ostsee, Dünen, Pommern,
kämen sie nur nicht angerannt
in all den schönen Sommern.

Wir machen unsre Straßen dicht,
wir lassen sie gern leiden
in Masken und mit Schnelltestpflicht,
doch auch wenn wir sie schneiden:

Sie kommen immer wieder gern
in unser schönes Ländchen
aus Sachsen, Anhalt, ganz von fern.
Wir haben wohl ein Händchen.

Neu bei Nitzsche

Nachdem es in der letzten Zeit wiederholt zu Scherbenbildungen in verschiedenen Bereichen Meines Getränkemarktes A. Nitzsche in Machern (man muss nur machern) gekommen ist, werde ich in Absprache mit dem sogenannten Betriebsrat (Hofarbeiter), der wieder einmal nicht schuld ist bzw. nicht weiß, wer das gewesen sein könnte, mit dem Knicker auf der Lauer (Chefbureau) liegen und, sofern erforderlich, Waffengewalt anwenden. Das ist auch mal eine schöne Abwechslung und sollte den Protagonisten eine Lehre sein. Scherbenbildungen aufgrund Diaboloeinschlags gelten als von der Belegschaft verursacht und werden von den überaus großzügigen Gehältern abgezogen. Ende der Durchsage. Nitzsche, Chef.

Notwendige Richtigstellung

Während bei modernen Sonnenschutzmitteln durchaus auf das Haltbarkeitsdatum zu achten ist, weil die Schutzwirkung nach wissenschaftlichen Studien (amerikanische Experten usw.) stark nachlässt bzw. gar nicht mehr vorhanden ist, kann die Anwendung klassischer Produkte bedenkenlos noch nach Jahrzehnten mit besten Resultaten vorgenommen werden.

An der Silbentrennungsmaschine

Nach dem laut Agentur-Chef „unglaublichen und böswilligen Versagen“ des kleinen Herrn Schönleben beim letzten Auftrag wurde dieser unter lautstarkem Protest aus dem geschützten Bereich des Heimarbeitsplatzes in die kalte Welt des geleerten Großraumbüros zitiert. Nach einer furiosen Ansprache der kompletten Führungsriege (vor Ort), bei der sich die Redner in allerlei logischen Protuberanzen verhakelten, was der kleine Herr Schönleben nicht ohne Häme vermerkte und später, im Tagesordnungspunkt „Selbstkritik“, lautstark monierte, wurde er für den Rest der Woche an die Silbentrennungsmaschine gekettet, eine Strafmaßnahme, die von allen Mitarbeitern der Agentur gehasst und gefürchtet wurde, weshalb es fast nie zu nennenswerten Aufsässigkeiten kam.

Der kleine Herr Schönleben indes, sich keinerlei Vergehens bewusst, trennte fröhlich pfeifend Silbe von Silbe, auf dass die „Internetpräsentationen“ der zu bewerbenden Produkte nicht zu breit würden.

Das Sonett von der Erkältung

Alles fließt (Beispielfoto)

Nasenlöcher fluten Tücher
wie mit Reitern einst der Blücher
rotes Feld geflutet hat.
Reglos liege ich und matt.

Könnte ich die Löcher stopfen?
Helfen eingesetzte Pfropfen?
Aus der Tüte tropft der Kleber.
Oder nehm ich Nasenheber?

Ja! Ich heb die Nase an,
Dass sie nicht mehr laufen kann.
Kopf nach hinten überstreckt,

an der Decke läuft die Holde,
die, wenn ich verdämmern sollte,
mich mit harten Griffen weckt.

Tsunami der Kreativität

Die Wunderlampe (Beispielfoto)

Der Chef der Agentur hatte durchs Telefon gebrüllt, dass er jetzt endlich die Vorschläge des kleinen Herrn Schönleben („Was machen Sie eigentlich den ganzen Tag?“ — „Äh, Homeoffice?“) benötigte, den innovativen Namen des Elektrofahrzeuges betreffend, für den er unter größten Anstrengungen den Auftrag an Land gezogen hatte. Nun müsste nur noch das bisschen Arbeit gemacht werden, aber das sei ja in dieser Firma alles andere als selbstverständlich geworden. Also dallidalli, irgendeinen blöden Namen mit e drin, dran, drunter, drüber, kann ja nicht so schwer sein. Die Bindestriche oder sonstigen Verzierungen würde der Art Director, dieser Depp, dann schon noch ranbasteln. Deadline 1436, Uhrenvergleich.

Es war 1327 MESZ. Der kleine Herr Schönleben schleppte sich zur Wunderlampe, die er neben dem Bett aufgestellt hatte, knipste sie an und tippte in sein E-Mail-Programm:

Betreffend e-Gefehrt:

Edelebereschenbeerentresterbecherscherbeneselfellkehrbesenfeststellbremsenbestellzettelheftentwertergesellenwestregenpellenfetzenrestentwendeverbrecherzellendeckenweberknechtentsetzen

Beste Greeße
Scheenleeben

Dann hüpfte er frohgemut, sich seiner Heldentat vollends bewusst, aufs Tagesschlummersofa und fiel in ein tiefes Koma.