Zur Kur

lokomotivbau

Karl Gong, der zur Kur in einer dieser bemitleidenswerten Kleinstädte In The Middle Of Nowhere weilte, um seinen Blutdruck unter die Schwelle absenken zu lernen, oberhalb derer er für seine Mitmenschen gefährlich sein könnte (Explosionsgefahr), wäre beinahe von der dampfbetriebenen Straßenbahn des Ortes überfahren wurde, weil es in seinen Ohren so sehr rauschte, und in einer ersten Aufwallung wollte er schon, fäusteschwingend und übermäßig alles mögliche durch seinen Körper pumpend, über den Heizer herfallen, der lässig aus dem Seitenfenster hing und einen Stumpen Dominikanische im Mundwinkel balancierte, da erblickte er die massive VEB-Plakette an der Lok, und Tränen schossen aus seinen Augen (Druck), denn genau diese Plaketten hatte sein Onkel Heinz-Jürgen in Babelsberg „aus dem Stück gefeilt“, geschliffen und schließlich mit Zahlenstempel und Hammer numeriert. 1953! In dem Jahr, in dem die Westzonen ein Gesetz erlassen mussten, das den Zustrom ihrer frustrierten Bürger zur Fremdenlegion eindämmen sollte, hatte sein Onkel Heinz-Jürgen seinen Beitrag zum friedlichen Aufbauwerk geleistet, bevor er auf der Parteischule lernte, dass es noch viel geilere Dinge gibt, als Plaketten zu feilen, was aber, wie wir heute wissen, nicht stimmte. In Karl Gong jedenfalls stieg plötzlich eine große Ruhe und Gelassenheit auf, denn er spürte in diesem Moment den Atem der Geschichte, der ihn erfrischend abkühlte und lehrte, dass etwas bleibt vom Leben, unzerstörbar, ewig, wenigstens eine formschöne Plakette mit relevanten Informationen, und sein Blutdruck fiel unter die magische Marke, allerdings nur so lange, bis sich der erste PKW des Tages mit Arschkraft durch die bemitleidenswerte Kleinstadt drängte.