Kategorie-Archiv: Vom Reisen

Vom Reisen

Erstauntes Langgedicht

Ich bin ein mecklenburger Kind.
Ich bin sehr gern alleine.
Bin nicht gern, wo die andern sind,
die klaun mir nur Bernsteine.

Sie überweisen mir ihr Geld,
doch können sie gern bleiben
auf ihrem fernen Pfefferfeld
und dort ihr Wesen treiben.

Sie führen Viren in sich mit,
sie fressen unsre Fische,
sie tanken unsern prima Sprit
und kacken in die Büsche.

Es wär so schön in unserm Land,
mit Ostsee, Dünen, Pommern,
kämen sie nur nicht angerannt
in all den schönen Sommern.

Wir machen unsre Straßen dicht,
wir lassen sie gern leiden
in Masken und mit Schnelltestpflicht,
doch auch wenn wir sie schneiden:

Sie kommen immer wieder gern
in unser schönes Ländchen
aus Sachsen, Anhalt, ganz von fern.
Wir haben wohl ein Händchen.

Lamento

Ich möchte gar nicht lügen:
Ich wär jetzt gern auf Rügen.
Noch besser auf dem Darß.
Das ging nicht wegen Sarß.
Und nun bin ich verhindert,
was mein Befinden mindert.
Ich hocke tief im Land
(der Saale heller Strand.
Der Elster? Gar der Pleiße?)
Egal. Ist alles fein.

Mondmissionsdelirium

Strickerin: Wollmond.
Prüferin: Sollmond.
Turnerin: Rollmond.
Trinkerin: Vollmond.

Heut ist mir halb.
Ich bin ein Kalb.
Ich bin ein Reh.
Mund tut mir weh.

Mund heut sehr rund.
Ist das der Grund?
Ich geh ins Bett.
Mond macht mich fett.

Flieg zu ihm nauf.
Kein billjer Kauf.
Ich glaub ich spinn!
Wou isser hin?

Schülerin: Scheumond.
Bäuerin: Heumond.
Partnerin: Treumond.
Maurerin: Neumond.

Vom Verschwinden der Realität

Gucke mal die Mauer:
Ist gleich wieder weg.
Ihre (einst) Erbauer
trennen uns vom Dreck,

der dahinter gammelt
durch Beton und Stahl,
tief und fest gerammelt.
Wär mir ouh egal,

würde ich es sehen.
Bin ja hier geborn.
Fresse bittre Schlehen.
Saufe kalten Korn.

Volksparteien endlich volksnah

„Wer hier nicht klarkommt, muss auch nicht Fahrrad fahren“

Neuerdings betreiben Vertreter der Parteien, die mit C und A beginnen und noch lange nicht aufhören, aus Gründen, die ihnen von den motorisierten Volksmassen eingeschrieben sind, endlich das Ausmerzen des den zügigen Kraftverkehr störenden Radfahrwesens in der Metropole. Scheinbar paradox mutet es dabei an, dass sie zu diesem Zweck sogenannte Fahrradstraßen einzurichten begehren. Der Ortskundige hört natürlich erfreut die Nachtigall in die Pedale trapsen, handelt es sich doch bei den beabsichtigten Trassen um uralte, rumpelig gepflasterte Scheusale aus Rutschbasalt mit Zahnfleischschwund, die man selbst mit seinem Geländewagen (Pluginhybrid) äußerst ungern befährt. Sie führen als „schwieriges Geläuf“, zumal mit Zusatzausstattung „gleichrangige, zugeparkte Kreuzung“, gern in die Notaufnahme der Chirurgie; das Bestattungswesen wird leider aufgrund der gefahrenen Geschwindigkeiten beim „Übersehen“ der Rüpelradler eher weniger profitieren.

Im übrigen eine Technik, die der Waidmann als „Vergrämung“ praktiziert, und mitnichten ein Akt falsch verstandener Menschenfreundlichkeit, wie auf den ersten Blick zu befürchten stand.

Kapitän Kapitonow

Nach dem Sieg der erste Schluck!
Langsam weicht immenser Druck,
Siegenwollen, Siegenmüssen,
dem Verlangen nach den Küssen
der geföhnten Mädchen
hier im Ankunftsstädtchen.

Grade noch besinnungslos,
Magen klumpig wie ein Kloß,
auf dem Sattelbrettchen keulend,
innen wie ein Schlosshund heulend:
Jetzt die Funktionäre
schwafeln von der Ehre

dieses Sieges, Kapitän,
dieser Leistung, souverän!
Viktor schleicht sich von der Rampe,
schaufelt Kilos Nudelpampe,
dazu acht Bulettchen,
und allein ins Bettchen.

Amerikabericht

Stabile Boote sind geeignet, große Wasserflächen zu überqueren.

Ich kam nach Amerika auf der Great Eastern, dem Unglücksschiff. Außer mir waren nur neunundzwanzig Passagiere an Bord, weil die Reederei nicht erwartete, dass der unförmige Kahn jemals ankommen würde. Die achtzig Mann Besatzung waren der Reederei offensichtlich noch egaler als die Passagiere, sie hausten neben den Kesselöfen, die sie pausenlos mit Koks füllten. Es war ein Alptraum, zwei Wochen anhaltend, notdürftig gedämpft mit Unmengen von Absinth.

Schon der Stapellauf des Schiffes war ein ungeheures Desaster gewesen, man hatte es mit Wasser statt Champagner irrtümlich auf den Namen eines blutsaugenden Meeresmonsters getauft, eine zerspringende Kette zerteilte folgerichtig den für sie verantwortlichen Arbeiter, der mächtige Rumpf des Schiffes rutschte genau einen Meter Richtung Hafenbecken, sackte auf die überforderten Schienen und konnte erst nach drei Wochen unter Zuhilfenahme erheblicher Geldbeträge freigekämpf werden, zwei Tage später erlitt der Konstrukteur einen Gehirnschlag und verstarb.

Ich war überzeugt, dass Amerika nicht existierte, dass es eine Erfindung der Werftindustrie war und wir alle in Litauen landen würden, oder gar in Albanien, um in den Krautkochtöpfen oder auf den Souflakigrills der Einheimischen zu enden. Es machte tatsächlich keinen Unterschied, Amerika existierte zwar offensichtlich, war aber das lausigste Land, in dem ich mich jemals befunden hatte. Ich verdingte mich mangels Alternativen als Tellerwäscher, brachte es mit allerlei Ränkespielen, „harter Arbeit“, Mord und Totschlag zum Millionär und heiratete eine Schnalle, die es auf mein Geld abgesehen hatte.

Das Sonett vom Großen Eingriff

Toolbox (Beispielfoto)

Das Hemdchen kurz, lieg ich im Bette,
mein Herzchen klopft, mein Auge stiert,
und stimme zu, wie insistiert:
Ich häng am Leben wie die Klette

(das mir der Chefarzt bitte rette,
indem er seinen Schnitt riskiert,
genialisch, schwungvoll, ungeniert
mit Schere, Messer und Skalpette

im Chirurgie-Kollegium).
Ich nehme alles, nur den Hein
möcht ungern ich empfangen;

und steht er vor der Tür herum,
dann klemmt die Knochenfinger ein
und quetscht sie mit den Zangen.

Das schlampige Sonett vom Dahinreisen

Durch den kalten wilden Wald
schleicht die Nacht heran.
Summend schlängelt der Asphalt
sich im blauen Tann.

Borkenkäfer fressen still
Gänge in den Baum.
Wohin ich heut reisen will,
glaubst du, Liebste, kaum.

Sehe Licht blass in der Ferne,
leuchtend nun vom Top die Sterne
über Schäfchenherden.

Ach, im Himmel wär ich gerne,
oder besser, statt externe,
mit dir hier auf Erden.

Gedicht mit „fetzt“

Ich muss aufs Fahrrad. Jetzt.
Denn Fahrradfahren fetzt.
Ich rase um die Ecke.
Da guckste, oder, Schnecke?

Ich schnaufe durch den Tann
und komme niemals an.
Ich mache hundert Meilen
mit Treten, Bolzen, Keilen.

Ich habe keinen Blick
für rosa Lycra-Chic.
Ich schmiere von der Kette
ans Bein mir schwarze Fette.

Ich biege ins Karree.
Mir tut die Wade weh.
Ich leg mich in die Wanne
und leere eine Kanne

Kamillentee.

Nee.

Das Sonett von den zwei Seelen in der Seemannsbrust

freddy

„Raus auf See, wenn auch die Wellen
über alle Maßen schwellen,
Salzgischt uns die Augen beißt!
Jeder weiß hier, was es heißt

auf dem schwarzen Gummikutter
fern der Heimat, fern der Mutter
um Kap Hoorn…“ – „Du liebe Zeit,
fahren wir noch echt sou weit?“

„Ja doch. Macht dir das Probleme?
Warte, bis ich Maß dich nehme.“ –
„Kapitänchen, auf ein Wort,

ich vergaß die Sonnencreme.
Also bleib ich lieber heeme.“
Sprichts und hechtet über Bord.

Ansichtskarte aus Ägypten

aegypten

Dem kleinen Herrn Schönleben geht es gut.

Das überreichliche Essen schmeckt wie zu Hause, die Getränke sind gekühlt und, entgegen den Gepflogenheiten der Region, sehr alkoholreich, die Sonne scheint „wie die Sau“, das Zimmer ist ausreichend geräumig (für kleine Gäste), nur die Mitreisenden sind unattraktiv, zudringlich und laut, laufen mit Schnorcheln und Taucherbrillen behängt halbnackt durch die Lobby des Hotels, riechen nach Fisch und werfen aus dem Bus heraus Gegenstände auf die Straße, „für die Armen“.

Das Foto zeigt den kleinen Herrn Schönleben vor der Neunheit von Heliopolis, die freundlicherweise direkt am Pool aufgebaut und mit einem Lichtbildautomaten versehen ist.

Bald kommt das kaputte Flugzeug und holt alle wieder ab.

Die Höhe des Gebirges ist die Flachheit des Poems

gebirg

Manchmal ist es flach
oben auf der Höh.
Einsam ragt ein Dach
ohne weißen Schnöh.

Schwarze Äste kahl,
patzig ruht das Feld.
Ich dreh mich zum Tal,
dort erzeugt man Geld.

Hier erzeugt man Ruh.
Langsam wachs ich ein.
Holde, wo bist du?
Nimm den kalten Stein

in die warme Hand.
Gib ihm einen Drall,
wirf ihn weit ins Land.
Regentonne. Knall.

Schnell davongerannt.