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Von der musikalischen Ästhetik

Der kleine Herr Schönleben, der wusste, dass die Nulpen in seiner Agentur an nichts weniger interessiert waren als am Wahren, Tiefen und Schönen, begrüßte das Durchregieren des zuständigen Kreis-Gesundheitsministers, der wegen der anschwappenden Herbstwelle des bedrohlichen Erregers bereits eine absolute Homeoffice-Pflicht für alle irrelevanten Angestellten im Landkreis verfügt hatte. So würde er genügend Zeit haben, seine Plattenschätze mehrmals gründlich durchzuhören, den ein oder anderen Lieblingssong auf Kassette aufzunehmen und im Ergebnis der schönen Frau Schreck aus der Registratur ein mit selbstgemaltem Cover versehenes Mixtape in die Eingangspost zu legen. Das einzige Zugeständnis an die Niestüten der Agentur, die sich als stilsichere Ästheten betrachteten, war die Auswahl des ersten Titels lediglich anhand der Farbe seines Schals, die er, seines bewunderungswürdigen Musikgeschmacks wegen, aber auch gar nicht zu bereuen hatte.

Vergebliches Bemühen

Der kleine Herr Schönleben hatte nach mehreren Zusammenstößen mit dem Art Director, aufsässigen Kunden und dem Idioten, der neuerdings auf Null-Euro-Basis die Claims für das Stadtmarketing verfasste („Wohnen Sie hier — es lohnt sich!“ „Warum?“ „Darum!“) das Gefühl, er müsse sich mit dem Chef der Agentur besser stellen. Also lieh er sich, während der Chef die Mittagspause „in der Sauna“ verbrachte, dessen Hausschlüssel aus, ließ ihn bei Minister Minit kopieren und lauerte am Abend desselben Tages auf dem Katzenbaum in der Chefwohnung darauf, dass der Inhaber nach Hause kommen und ihn ordentlich durchkraulen würde. Leider hatte er sich gerade erst die Nägel geschnitten, so dass er nicht an dem wirklich famosen Baum herumkratzen konnte, und, nochmals leider, brach der Chef just an jenem Abend zu einem Kurztrip „in die Staaten“ auf, um neue Kunden zu akquirieren. Welche Staaten er damit meinte, blieb unerwähnt. So konnte der kleine Herr Schönleben nach einer langen Nacht im engen Katzenhäuschen, das er auch noch gegen die zudringliche Chefkatze verteidigen musste, nur unverrichteter Dinge den Rückzug antreten, die Verwarnungen und Abmahnungen blieben in der Personalakte stehen und der Null-Euro-Idiot auf dem Drehstuhl direkt gegenüber hocken, denn Homeoffice war mittlerweile abgeschafft worden.

Abenteuer des Treppenhauses

Auf zur Pokerrunde mit den Bleichgesichtern!

Der kleine Herr Schönleben, der schon seit einigen Wochen das Treppenhaus seiner Wohnanlage mit Westernkostüm und Zündplättchenrevolver unsicher machte, weil er mittlerweile eine aggressive Form von Laptopphobie entwickelt hatte, suchte auf Anraten seines Therapeuten Zuflucht in einem streng getakteten Tagesablauf. Geweckt wird seitdem 0700 mit Fanfarenstößen, 0900 erscheinen die Rindviecher (Chef, Art Director) auf dem Monitor und werden mit Peitschenschlägen bedacht, Punkt 1000 wird der Postkutsche aufgelauert und 1230 beginnt die gemütliche Pokerrunde im Dürüm Kebab Saloon unten rechts. Alle weiteren Abenteuer des Tages ergeben sich aus der Tauglichkeit der Spielkarten, denn man spielt nicht nur um Geld, sondern auch um Urlaubstage, Freizeitausgleich und die betriebliche Altersvorsorge, was der Brisanz der Angelegenheit durchaus zuträglich ist.

Osterinselspaziergang

Natürlich war ich noch nie auf der Osterinsel, dachte der kleine Herr Schönleben, aber irgend etwas muss ich doch in meinen Reiseblock hineinschreiben. Die Lesenden fordern Futter, und die Futternden lesen nebenbei. Der Herr Oligarch hat dringend angeregt, diesen Reiseblock zu schreiben, und in den Geschichten vor allem die von ihm vertriebenen Getränke prominent zu erwähnen.

Seufzend schlich der kleine Herr Schönleben auf die Wiese seiner Wohnanlage, machte ein Foto der Plastik, die zu Zonenzeiten dort aufgestellt und aus Gründen ihrer schieren Masse noch nicht gestohlen worden war, fabulierte einige Zeilen von seinem vermeintlichen Osterinselspaziergang, den er unter Austrinken mehrerer Wegbiere (Marken hier einsetzen) vor Jahren absolviert haben wollte, und wie er unter einem der herrlichen, gigantischen Steinköpfe einschlief, zwischen Gänseblümchen und, äh, ja, Gänsen eben, etcetera-pp. Als er wieder aufwachte, fiel es ihm nicht schwer, zu beschreiben, wie er aufwachte; er räumte die Flaschen weg und registrierte mit einem kurzen Seitenblick, dass die Dame in der achten Etage gegenüber schon wieder die rote Lampe entzündet hatte. Das Leben ist anstrengend, dachte der kleine Herr Schönleben, wenn man eine so gute Beobachtungsgabe hat wie ich.

Ein Arbeitstag

Freudig bewegte sich der kleine Herr Schönleben auf dem vom Getränke-Oligarchen geliehenen Elektrokarren durch sein Home Office und verbrachte die „mit freundlichen Grüßen für zündende Knaller-Ideen“ als Geschenk beigelegten Semtex-Dosen in den Kühlschrank. Die Emanzipation vom Art Director der Agentur, dem „Artklops“, hatte sich gelohnt, und der Gedanke daran, wie das alles einmal enden solle, zumal ihm für die Kampagne nichts, aber auch gar nichts einfiel, raubte ihm noch nicht den Schlaf, in den er nach mehreren Pirouetten auf dem famosen Fahrzeug fiel, tief in den Fernsehsessel versunken. Er träumte ein paar gute Werbetexte, die sich reimten, hatte sie aber schon beim Aufwachen wieder vergessen, und machte sich ein veganes Wurstbrot.

Neu bei Nitzsche

Geschätzte Kunden, notwendig geliebte Mitarbeitende, vor einigen Tagen weilte Ich A. Nitzsche Getränkehändler in Machern (man muss nur machern) zu einem historischen Besuch bei der Top-Werbeagentur Kleinherr-Schönleben, um im Rahmen einer Premiumpartnerschaft die Getränkebranche bis auf weiteres zu dominieren. Kleinherr-Schönleben werden sämtliche Unsere Marketingmaterialien zum Nulltarif erarbeiten und lediglich durch unterwürfigste Dankbarkeit, für Uns arbeiten zu dürfen, entlohnt werden. Die bisherige Agentur „Artklops“ taugt nichts, noch eintreffende Rechnungen werden auf das Konto von Kleinherr-Schönleben gebucht. Achtung! Übermorgen Parkverbot am Großen Giebel des Hochspeichers! Ein Bildnis von A. Nitzsche auf Blattgold wird mithilfe zweier Helikopter angebracht. Ende der Durchsage. Nitzsche, Chef

Ein Nachmittag mit dem Oligarchen

Der kleine Herr Schönleben maulte nicht herum, als sein aktueller Kunde, der Getränkeoligarch N., darauf bestand, ihn in seinem Home Office zu besuchen, um sich nach dem Arbeitsstand der „Kampagne“ zu erkundigen, ein Begriff, der dem kleinen Herrn Schönleben ein gewisses Unbehagen bereitete, gerade des besagten Arbeitsstandes wegen. Wie angenehm überrascht aber war Schönleben, als ihm der Oligarch einen Platz auf dem Besucherliegestuhl anbot, das Gastgeschenk aus der Hosentasche zauberte und die schönsten Erlebnisse aus seiner langen Oligarchenkarriere erzählte. Eine weitere Flasche wurde unter wüsten Beschimpfungen des Art Directors geleert, der ja sowieso mit seinem ständigen Reinquatschen jede Kampagne ruiniere, und pünktlich zum Feierabend erhob sich N., um nach dem Hofarbeiter zu sehen, der wohl aber gar nicht mehr anwesend sein würde. „Recht so! Recht so!“ rief der kleine Herr Schönleben in Verkennung der Machtverhältnisse, allerdings ohne gerüffelt zu werden. Er begleitete den Oligarchen zur Tür, sah zu, wie sich dieser elegant durch Abstoßen des rechten Beines auf dem Hupwagen in Bewegung setzte, schrieb sich sieben Stunden „Getränke-Kampagne N.“ im Journal gut und fiel bis zur Sondersendung nach der Tagesschau in einen bleiernen Schlaf.

Mittelfristplanung

Dem kleinen Herrn Schönleben war von den Großkopferten aus Schikanegründen der Auftrag zum Verfassen einer Mittelfristplanung für die Agentur zugewiesen worden. „Bis gestern!“ röhrte der Art Director, den Schönleben im Stillen nur noch als „Artklops“ zu bezeichnen pflegte, hämisch. Nach ausgiebiger Mittagsruhe schleppte sich der kleine Herr Schönleben an den kleinen Schreibtisch, nahm Stift und Zettel zur Hand und legte los:

Mittelfristplanung 
– Betriebsfunk unter Kontrolle bringen 
– Chef entmachten und in Papierlager sperren
– Artklops Bier holen und Bewährung in der Produktion 
– Gehälter plus 100% (wieviel ist das?)
– Kundenzüchtigung bei Renitenz

Zufriedenheit umspülte das kleine Gesicht Schönlebens, und weil die Arbeit so leicht von der Hand ging, hängte er gleich noch die Langfristplanung hinten dran:

Langfristplanung 
– komm. Weltrevolution 
– Frieden auf Erden 
– Artklops Klo putzen (in den Home Offices)

Nach einem kurzen Schnaufer der Erschöpfung steckte er den Zettel in eine Email, wählte als Verteiler „An alle“, sah versonnen dem Sendeprozess zu und ließ sich vom Lieferdienst eine Tasse Kaffee kommen.

Jawohl!

Der kleine Herr Schönleben, der von der Herrschaft gezwungen worden war, seinen Sommerurlaub im eklen November zu absolvieren, hatte unerschrocken eine Fährüberfahrt gebucht, obwohl er angesichts seiner kurzen Beine arge Zweifel hegte, das geliehene Kleinfahrzeug auf der schlingernden Eisenschüssel rechtzeitig zum Stehen veranlassen zu können. Ein Hinabgleiten in die Tiefen der dunklen See wäre die Folge gewesen! Aber alles ging gut, die Servicemitarbeiter hatten extra ein Netz gespannt und sprangen schreiend mit aufgerissenen Augen vor Schönlebens Wagen zur Seite und dann um ihn herum, in fremden Zungen fluchend, die rasende Fahrt des Wagens mit klammen Fingern abbremsend.

Als sich die Besatzung beruhigt und in ihrer Kammer Zuflucht gesucht hatte, um den Spirituosenvorrat zu überprüfen, nahm der kleine Herr Schönleben sein Klappmesser zur Hand und entfernte geschickt das Schild „Anweisung vom Personal beachten“, warf es unauffällig durch das geöffnete Seitenfenster seines bemitleidenswerten Ferienmobils und freute sich diebisch auf die Gesichter der Großkopferten, wenn sie des Schildes an prominenter Stelle im Großraumbüro ansichtig würden.

Besuch aus Hollywood

Modernste 3D-Technologie ermöglicht atemberaubende „Blockbuster“-Streifen

Der Hollywoodmogul hatte es sich auf dem Heimarbeitssofa des kleinen Herrn Schönleben bequem gemacht. Schönleben wippte nervös in seinem Schwingsessel auf und nieder. Eigentlich forderte ihn sein Laptop zu einer fünfzehnminütigen Ruhezeit auf, aber was sollte er machen, wenn dieser seltsame Gast sein Sofa blockierte? Er hatte sich als Herr Goldwien (oder ähnlich) ausgegeben und war mit der Metro gekommen, um Schönleben bei der Arbeit zuzusehen.

Das Ganze war sicher ein Missverständnis. Der Art Director in seinem krankhaften Egomanenwahn trieb sich permanent auf irgendwelchen Netzwerk-Partys herum, prahlte mit seinem „Staff“, dessen „Skills“ und „Performance“, um irgendwie den Abflug in eine ernstzunehmende Agentur zu schaffen. Dafür klaute er sich aus dem Internet angebliche Arbeitsproben zusammen, die er permanent auf seinem Telefon hin und her wischte. Die bemitleidenswert räudigen Grafiken mit den vor Rechtschreibfehlern strotzenden Texten seiner Untergebenen waren nicht dabei.

Der Mogul aber hatte sich bei einem dieser Events wider Erwarten interessiert gezeigt an den atemberaubenden 3D-Fertigkeiten des kleinen Herrn Schönleben, der in der Agentur für die Schaffung der virtuell begehbaren Tortendiagramme zuständig war. Bisher waren diese lediglich in einer Internet-Präsentation des Herrn Dachdecker Schnürgel aus Albersdorf zur Anwendung gekommen, der damit potentielle Investoren ködern wollte. Aber Schönleben musste für den Art Director „in freien Stunden“ Unmengen ebensolcher Diagramme basteln, in denen dieser im Rahmen seiner nächtlichen Drogeneinnahme stundenlang umherirrte.

Schönleben jedenfalls schichtete nun mit den von Pralinen klebrigen Fingern Torte auf Torte, Tortenstück auf Tortenstück, jeweils wie aus bunt gefärbtem Glas, durch die er sich schließlich wie ein Äffchen hangelte, magische Welten, die im Mogulen durchaus einen kleinen Rausch zu entfalten schienen, starrte er doch mit weit aufgerissenen Augen auf das schnarrende, pfeifende, rasselnde Billiggerät, an dem Schönleben seine Befehle mit zwei Fingern in kryptischen Zeichenfolgen einklackerte.

Nach vier Stunden erhob sich der Mogul ächzend vom Sofa, rieb sich den Schlaf aus den Augen, presste „Great work, guy!“ und „Absolutely awesome!“ durch die Zähne, schleppte sich zur Tür und ward nie wieder gesehen. Der kleine Herr Schönleben schnellte auf das schön angewärmte Sofa und schlief durch bis zum Spätfilm.

Die Triebkräfte der Produktion

„Wo man vereint Verstand mit Muskelkraft,
dort blüht der Weizen der Genossenschaft!“

Kaum hatte der kleine Herr Schönleben dieses schöne Gedicht von Fredo G. Winser-Schnellig, dem Cheftexter der Agentur, in einer hübschen Schriftart auf dem Flyer angeordnet, ploppte das hochrote, verpixelte Gesicht des Art Directors (im Hintergrund die Kommandobrücke eines Raumschiffs) auf seinem Bildschirm auf. Kurz darauf erschienen auch die verstörten Grimassen der Kollegen, die ratlos in ihre Kameras starrten.

„So, jetzt mal alles stehen und liegen lassen, ihr Rüben! Wir sind gehackt worden!“

„Hoho, von der Feldbaubrigade der Genossenschaft, oder was?“ brüllte der kleine Herr Schönleben und wälzte sich auf dem Boden, vergnügt über den gelungenen Witz. Leider waren er und Fredo die einzigen mit dem Flyer beschäftigten Mitarbeiter, so dass sein Scherz ins Leere lief. Der Art Director war glücklicherweise zu sehr mit seiner eigenen Wichtigkeit beschäftigt, als dass er sich die Zeit nehmen wollte, Schönleben zurechtzuweisen.

„Präzisiere: Unser verehrter Herr Geschäftsführer ist gehackt worden, während er, äh, das tut hier nichts zur Sache, ihr Runkeln! Jedenfalls ist ab sofort aus Sicherheitsgründen jeglicher Kontakt mit dem sehr geehrten Herrn Geschäftsführer bis auf weiteres untersagt!“

Ein unbeschreiblicher, vielstimmiger Jubel stieg daraufhin aus den Kehlen der Belegschaft auf, hell und entschlossen, freudig und unversiegbar, so dass selbst der Art Director nach anfänglicher Irritation fraternisierte und mit aufgerissenem Maul einstimmte. Goldene Tage standen ins Haus ohne Schikane, Überstunden und Gebrüll, man würde den sozialistischen Wettbewerb zelebrieren wie eine Polonaise der guten Laune, sich anerkennend über die Schultern der Kollegen beugen (rein virtuell), Flaschen mit Hell- und Kraftbier leerend entspannt den unweigerlich auszureichenden Prämien entgegenarbeiten. Ein goldener Herbst, Erntezeit, Freiheit, Brüderlichkeit.

„Es lebe der Hacker!“ rief der kleine Herr Schönleben, und alle, wirklich alle brüllten im Chor mit, bis pünktlich um sechzehn Uhr die Sirenen aus den quäkenden Laptoplautsprechern das Ende der heutigen Fron verkündeten.

Klappe!

Filmstudios befinden sich oft in coolen, abgeranzten Locations

Der kleine Herr Schönleben war vom Art Director zum Dreh eines Werbespots kommandiert worden, weil „alle anderen in diesem Drecksladen noch dämlicher“ als er seien und jemand den Filmfritzen auf die Finger klopfen müsse, damit der „Spirit of the Campaign“ nicht verlorengehe.

Im Studio stand der kleine Herr Schönleben sinnlos pfeifend in der Ecke, bis sich jemand erbarmte und ihm eine Klappe in die Hand drückte, auf die die aktuelle Szene, „The Take“, mit Kreide geschrieben war. Wie in diesen Hollywoodfilmen über Hollywoodfilme! Der kleine Herr Schönleben plusterte sich auf, fühlte sich plötzlich immens wichtig, rannte wie aufgezogen herum, und sobald irgendjemand etwas sagte, knallte er mit der Klappe und rief, so laut er konnte: „Klappe! Klappe! Klappe!“

Umgehend wurde er in den Frauenruheraum verbracht, mit feuchten Tüchern abgekühlt und in den Schlaf gesungen. Der „Spirit of the Campaign“ mischte sich mit den kreativen Ausdünstungen der Crew zu etwas komplett Ungenießbarem, Chef und Art Director waren bei der Präsentation vor Begeisterung aus dem Häuschen und hefteten dem kleinen Herrn Schönleben ein virtuelles Bienchen an, das erste in seiner Karriere.

Vom Undank

Gratifikationsentsetzen

Der kleine Herr Schönleben hatte einen wichtigen Auftrag für einen wichtigen Kunden glücklich beendet; zwar etwas verspätet, doch zur äußersten Zufriedenheit des Art Directors, der die speziellen Wünsche des Kunden mit aller Macht durchgesetzt hatte. Es war ein Männlein zu zeichnen mit unverkennbar folkloristischem Einschlag, Hut, Bärtchen, landsmannschaftlich gefärbter Mundnasenbedeckung — alles in allem eine extrem aufwendige, diffizile Arbeit, die man nicht so einfach aus dem Internet herunterladen konnte, jedenfalls nicht von den Seiten, auf denen der kleine Herr Schönleben üblicherweise unterwegs war.

Der Kunde war glücklich und schickte eine Palette Pralinen in die Agentur, von der allerdings nur eine leere Kartonage in Schönlebens Homeoffice ankam, den Inhalt hatten offensichtlich Chef und Art Director gemeinsam im Bureau verzehrt, wahrscheinlich unter Absingen hämischer Lieder, denn es handelte sich um die guten Alkoholpralinen, die auch der kleine Herr Schönleben besonders schätzte. So legte er sich frustriert und erschöpft ins Bett und bohrte noch ein wenig mit einem Wattestäbchen in der Nase, bevor er in tiefen Schlummer sank und von Himbeergeist in Schokoladenkruste träumte.

Die Einmischung der Vergangenheit

Multifunktionsgerät (Beispielfoto)

In einer der langweiligen Videokonferenzen, die der Chef ausrichtete, um seine „geliebten Mitarbeiter, diese Hohlköpfe und Nichtsnutze“ auf gnadenlose Profitmaximierung einzuschwören, las der kleine Herr Schönleben nebenbei einen Bericht über die Gewohnheiten der Angestellten im letzten Jahrtausend. So schien man damals insgesamt viel aufsässiger gewesen zu sein, und auch lustiger Schabernack war wohl viel mehr fester Bestandteil des betrieblichen Lebens als heute. So galt es als Höhepunkt des Tages, sich mit dem nackten Arsch auf den Kopierer zu setzen und die Ausdrucke per Fax überall hin zu versenden. 

Als leicht zu begeisternde Kreativkraft sprang der kleine Herr Schönleben sofort auf das neben dem Laptop befindliche Multifunktionsgerät, setzte sich ohne Zwickel auf die Glasplatte, genoss das Gefühl, als der gleißende Lichtstrahl seinen Körper von unten illuminierte, und druckte das Abbild sofort aus. Begeisterung! 

Der Art Director, über das kurzzeitige Fehlen des Schönleben auf dem Bildschirm verärgert, forderte Aufklärung, die er in Form der Behauptung des S. erhielt, jener arbeite eben nebenbei an der Kampagne für Sanitär-Rottemöller, wobei er das surreal verfremdete Abbild seines Hinterns triumphierend über dem Kopf schwenkte.

Einen so schönen Arbeitstag für alle außer die Großkopferten hatte es in der Agentur schon lange nicht mehr gegeben. 

Der Einkauf

Der kleine Herr Schönleben schleppte sich zum Getränkehändler. Sein Laptop hatte ihn in einer Werbeunterbrechung des Heimarbeitstages mit sogenannten Energy Drinks bekannt gemacht. So etwas wollte er auch, brauchte er unzweifelhaft. Gähnend riss er das Maul auf. 

„Mach mal deinen Schnabel zu, Genosse, oder willst du mir ein Stück Fell rausreißen?“ rief der auf dem Stapler vorbeibrausende Hofarbeiter.

„In keinester Weise, Verehrtester!“ versicherte Schönleben und machte einen Bückling. „Ich will einen Energy Drink.“

Der Hofarbeiter fuhr eine scharfe Kehre, schrie dabei „Gong, Gong, Gong!“, denn er hatte weder Hupe noch Klingel an seinem maroden Gefährt, dann brüllte er „Aufsitzen!“ und raste mit Schönleben durch die Abteilungen. Irgendwo griff er im Fahren einen Kasten Hellbier, klemmte ihn in den Fußraum, brauste an der Kasse vorbei über den Hof und lieferte Schönleben nach Adressabfrage direkt vor dessen Haustür ab. Er warf den Kasten auf den Fußweg, alles blieb heil, brüllte „Es lebe die kommunistische Weltrevolution! Macht genau zwanzig null null!“, steckte sich das Geld in den Zwickel und verschwand in einer Wolke aus Ruß und Straßendreck um die Ecke. 

Der kleine, von diesem Abenteuer völlig erschöpfte Herr Schönleben trug die Flaschen einzeln nach oben, wobei er mehrmals auf der Treppe einschlief, den leeren Kasten trat er auf die Straße. Die Videokonferenz mit dem Art Director absolvierte er unter dem in seinem Leben erstmaligen Genuss zweier Flaschen Hellbier, und er klappte den Laptop nach dem Schlussgong in der Gewissheit zu, sich wacker geschlagen zu haben, denn der Art Director war schreiend auf seinem Stuhl zusammengebrochen. 

Die Muren sind über uns

Suchschweine auf einer Mure (Symbolfoto)

Der Chef hatte den „Auftrag des Jahrhunderts“ an Land gezogen und tanzte vor seiner Laptopkamera und den entsetzten Augen des „Teams“ an den Bildschirmen eine Art Kasatschok. Der Art Director, dieser opportunistische Idiot, sprang ebenfalls wie ein Derwisch in seinem Keller hin und her und fiel erst später in die Regale als der Chef, was diesen stark erzürnte.

Nachdem sich die Gemüter beruhigt hatten, wurde „die Arbeit verteilt“, das heißt, das Team musste „den Mist nur noch runterprogrammieren“. Es handelte sich um eine Muren-Warn-App. Irgendwo im Gebirge war eine Mure abgegangen, und niemand hatte davor gewarnt, jedenfalls nicht dort, wo es geschah, nur woanders, zum Beispiel in Schleswig-Holstein. Es gab auch schon verschiedene Warn-Apps, aber noch nicht jede IT-Butze im Wahlkreis jedes Abgeordneten hatte bereits eine programmiert. Nun also war die Klitsche des kleinen Herrn Schönleben an der Reihe.

„Wir machen das ädscheil, also agil, für die Trottel unter euch“, brüllte der Art Director, denn der Chef war schon wieder auf Akquise. „Der Schönleben-Zwerg malt ein Logo, am besten eine lachende Mure, die ins Tal rodelt. Die anderen kopieren was aus Wikipedia und den anderen Käse-Apps, hauen das zusammen, bis es blinkt und grunzt, und dann geht der Dreck ans Ministerium, damit die sich durchklicken können und die Knete lockermachen. Capietsche?“

„Und das Pflichtenheft? Die Spezifikation?“ fragte der kleine, aufsässige Herr Schönleben.

„Hatten wir sowas jemals? Den Möhren-Schwachsinn installiert sowieso niemand! Braucht doch auch keiner. In unterentwickelten Ländern kriegt jeder im Möhrengebiet eine Nachricht aufs Telefon und basta Pasta! Das ist genial und billig. Aber bin ich der Minister? Der König?“

„Jawohl!“ riefen einige der Angestellten im Chor. „Sie sind unser König!“

„Aber unsere Steuergelder!“ maulte der kleine Herr Schönleben, der einfach keine Ruhe geben wollte.

„Zahlt von euch Rüben irgendjemand Steuern?“ fragte der Art Director entgeistert. Alle Arme schnellten nach oben.

„Ich fasse es nicht! Ich bin komplett von Versagern umgeben!“ Die Bildschirmkachel, auf der eben noch die aufgerissenen Augen des Art Directors zu sehen waren, wurde schwarz. Das Team machte sich an die Arbeit, der kleine Herr Schönleben schleppte sich aufs Kanapee und schlief durch bis zum Wetterbericht.

Die virtuellen Plätzchen

Klapp klapp klapp, gleich ist der Bildschirm ab!

Der kleine Herr Schönleben war gezwungen worden, für den Chef einen Vortrag über „Bitcöhn“ zu halten. Der Chef wollte unbedingt reich werden, aber „mit dieser Firma voller Versager“ würde das definitiv nichts werden.

Also hatte Schönleben in den Minuten zwischen seinen Tiefschlafphasen ein paar knackige Informationen über „Bitcöhn“ aus dem Internet in die hässliche Powerpoint-Vorlage der Firma kopiert und schickte sich nun an, diese per Videokonferenz vorzutragen. Wie üblich hampelten Chef und Art Director wie blöde vor ihren Kameras herum und versuchten, sich gegenseitig die virtuellen Plätzchen auf dem virtuellen Konferenztisch wegzuschnappen, eine Disziplin, in der sie sonst von Schönleben geschlagen wurden, aber der war ja leider mit den „Bitcöhn“ beschäftigt.

Nun, der Vortrag endete, die Großkopferten beschwerten sich, rein gar nichts verstanden zu haben, aber das wäre ja bei dieser Lusche von Mitarbeiter („Wie heißt der eigentlich?“) zu erwarten gewesen, und der kleine Herr Schönleben schnappte sich das letzte virtuelle Plätzchen aus der virtuellen Kekspackung, mit Kokos bestreut, was er überhaupt nicht leiden konnte, egal, klappte den Laptop zu und fiel augenblicklich in einen bleiernen Schlaf, der erst zur Tagesschau-Spätausgabe endete.

Nietnomaden

„So viele Nieten! Bin ich schon im Bureau?“ fragte sich der kleine Herr Schönleben und erwachte mit zuckenden Augen aus seinem Albtraum. Er versuchte, das soeben durchlebte Bild in seinem Kopf festzuhalten, was nicht gelang, deshalb fertigte er flink ein Aquarell in korrekter Perspektive an. Danach, beim ausführlichen Betrachten mit einer Tasse Schonkaffee in der Hand, war ihm wohler. Bei den Nieten konnte es sich auf gar keinen Fall um die Belegschaft seiner Firma handeln, denn sie waren alle gleich groß. Das hätte der Chef nie zugelassen! Und auch der impertinente Art Director, der eigentlich Schönleben hätte heißen müssen, wenn es mit gerechten Dingen zugehen würde, hätte darauf bestanden, durch eine größere Niete repräsentiert zu werden, halb so groß wie der Chef, doppelt so groß wie „das Team“, von dem immer geschwafelt wurde, wenn die Großkopferten wollten, dass die angesammelten Überstunden ohne Bezahlung gestrichen würden.

Trotz des genossenen Kaffees fielen dem kleinen Herrn Schönleben die Äuglein zu, er phantasierte noch eine Weile im Stehen von seinen Kollegen, die in Zweierreihe eine endlose, golden glitzernde Trasse entlangwanderten, immer der sonnengleich strahlenden, gigantischen Chefniete folgend, dann fiel er rücklings auf sein Heimarbeitssofa und wachte nicht wieder auf, bevor der besonders scheußliche Klingelton des Abteilungsmeetings den Raum erzittern ließ.

An der Silbentrennungsmaschine

Nach dem laut Agentur-Chef „unglaublichen und böswilligen Versagen“ des kleinen Herrn Schönleben beim letzten Auftrag wurde dieser unter lautstarkem Protest aus dem geschützten Bereich des Heimarbeitsplatzes in die kalte Welt des geleerten Großraumbüros zitiert. Nach einer furiosen Ansprache der kompletten Führungsriege (vor Ort), bei der sich die Redner in allerlei logischen Protuberanzen verhakelten, was der kleine Herr Schönleben nicht ohne Häme vermerkte und später, im Tagesordnungspunkt „Selbstkritik“, lautstark monierte, wurde er für den Rest der Woche an die Silbentrennungsmaschine gekettet, eine Strafmaßnahme, die von allen Mitarbeitern der Agentur gehasst und gefürchtet wurde, weshalb es fast nie zu nennenswerten Aufsässigkeiten kam.

Der kleine Herr Schönleben indes, sich keinerlei Vergehens bewusst, trennte fröhlich pfeifend Silbe von Silbe, auf dass die „Internetpräsentationen“ der zu bewerbenden Produkte nicht zu breit würden.