Archiv für den Monat: Dezember 2005

Der Zitzenreiter


Im Sozialismus war auch manchmal Winter.
Als unser glorreiches Vaterland noch eine Armee hatte, wurde ich einberufen und traf eine Menge interessante Leute. Wenn ich vorher schon den Film von Herrn Kubrick „Ganzmetallene Jacke“ gesehen hätte, wäre mir manches eher klar gewesen – aber egal, so war alles richtig authentisch. Zum Beispiel der Zitzenreiter. Natürlich hieß der gar nicht so – aber einmal per Gebrüll seitens eines erregten Oberstleutnants so tituliert, war das von da an sein Name.
Bei den Russen in der 21. Gardepanzerdivision waren wir auch mal einige Tage. Wir hatten pfiffigerweise (was selbstverständlich verboten war) allerhand Handelsware dabei – also Lebensmittel, Tabakwaren, Würste und lauter son Zeug – und die Russen haben dafür Ausrüstungsgegenstände, Klamotten usw. getauscht. Beide Seiten waren erfreut über die erfolgreichen Handelsbeziehungen. Die Verpflegung bei den russischen Streitkräften war nämlich nicht so der Bringer. Wir freundeten uns also mit den Russen und Ukrainern und Usbeken an, während der arme Leutnant immerzu mit den Offizieren Alkohol trinken mußte.
Zum Glück war der Leutnant ohnehin nicht notwendig, denn bei den gemeinsamen Manövern und Wettkämpfen war der Lt. zwar anwesend, aber noch von den Gelagen umnebelt.

12 Uhr mittags


…in der barocken Wild-Ost-Stadt.
Irgendwo da hinten nestelt der Typ an seiner Pistolentasche rum. Du kneifst die Augen zusammen und denkst, es wäre doch besser gewesen, die Brille aufzusetzen, auch wenn du mit der dämlich aussiehst, aber hier kennt dich doch keiner, und wenn du auf dem Pflaster liegst, ist es sowieso egal, zu spät dafür, ganz abgesehen davon, dass du nur den kaputten Kugelschreiber von deinem Ex-Arbeitgeber aus der Hosentasche ziehen kannst, und so weit fliegt die Mine von dem Ding nun auch wieder nicht.

Fresken der Neustadt


Ying und Yang oder Neustadt-Wichtigtuerei ?
In einer Randgegend der Neustadt in Hinterwald. Dort wo es immer regnet. Wo ALG 2, Hund und Mensch sich die Hand reichen: dort gibt es auch manches Fresko zu sehen. Ausgeführt in Kreide auf gedunkeltem Sandstein.
Auffällig ist, daß die Figur „Liebe, Sex und Frieden“ beängstigend und abstoßend wirkt. Der Gegenpol „Haß, Gewalt und Krieg“ erscheint auf Anhieb sympatisch.
Ein Fehler in der Ausführung ? Oder steckt in diesem Gemälde doch mehr, als in Begleitung ihrer Hunde vorbeischlumpernde Passanten erfassen können ?

Wissenschaft und Verjüngung

Trotz verlorenen Krieges: 1919 war alles möglich.

Marktführer bei der Geschlechtsumwandlung

Die bildliche Vorstellung, wie der wahnsinnige Doktor Hirschfeld das „Opfer seiner Wissenschaft“ wurde, wird wohl je nach Einstellung des jeweiligen Lesers unterschiedlich sein. Für mich ist sonnenklar, daß er das klassische Ende eines verrückten Wissenschaftlers fand, der auf der Suche nach der ewigen Jugend auch vor bizarrsten Experimenten nicht zurückschreckte.

Deutlich sehe ich den bärtigen Doktor im abgewetzten Kittel (Rasur und Wäsche vernichten kostbare Forschungszeit) wie er eine telefonzellengroße raketenförmige Kabine aus Messing mit den letzten Drähten verbindet. Es ist Eile geboten, denn schon nähert sich das Grollen des langerwarteten Gewitters. Die Energie eines Blitzes zu erzeugen wird wohl erst in hundert Jahren möglich sein – also rasch hinein in die Verjüngungskabine. Mit Elektroden an den Schläfen und den Fingerspitzen schaut Doktor Hirschfeld durch das gepanzerte Bullauge seiner Kabine auf die Standuhr gegenüber: tick tack tick tack. Gleich ist es soweit – und das schrille Kichern, das sich seit Stunden angestaut hat, läßt sich nicht mehr zurückhalten.

Bombenlagerung leichtgemacht


Manchmal bringen einem die Leute
ja irgendwelchen unerwünschten Mist mit. Wer deshalb oder aus anderen Gründen zu Hause eine Bombe lagern muss, sollte dafür sorgen, dass sie nicht unbefugten Personen in die Hände fällt. Geradezu Wunder kann dabei eine sogenannte „Wache“ bewirken, die man neben die Bombe stellt. Sie sollte einen Helm aufhaben (wegen der Brocken, die bei der Explosion herunterfallen könnten) und zur Abschreckung irgendetwas halten, das wie ein Gewehr aussieht. Unter Umständen tut es auch ein Gewehr. Achtung: Waffenschein besorgen, falls der ABV klingelt.

Morgens im Bad

Als ich die Liebste frage, ob die Dusche bei ihr auch nur tröpfelte, antwortet sie: Ja, sie musste sozusagen von einem Tropfen zum anderen springen, um nass zu werden. Ob original oder bei Fanny Müller gelesen: Mit so einem Satz kommt man über den Tag.

Zu Besuch im Sackbahnhof


Zustieg außerhalb der Bahnhofshalle
Letzten Freitag war ich auf Durchreise wieder im Sackbahnhof.
Wie hell funkelten die Lichter der Großstadt! Wie Sphärenmusik war das Geräusch der Rolltreppen, jenseitig erschienen die freundlich schauenden Frolleins. Ich habe mir beim Erwärmte-Mandeln-Verkäufer eine Tüte erwärmte Mandeln gekauft und reiste wieder ab. Die Eisenbahn nach Hinterwald durfte noch nicht mal in den Bahnhof reinfahren – warscheinlich damit nicht soviel Schmutz reingeschleppt wird: Eine Eisenbahn kann sich nicht „die Schuhe abtreten“.

Postmodern


Dieser Ort ist verflucht
Nur wenige Schritte von hier wuseln tausende Leute wirr durcheinander. Nicht einer von denen stellt sich in dieses Rechteck, gebildet aus Gebäuden, die einmal modern waren.
Wer sich schon gefragt hat, was „postmodern“ bedeutet (eigentlich bedeutet es ja auch garnix), ahnt an diesem Ort die düster verwehte hoffnungslose Aussage diese Wortes.

Autoren-Angeberei


Hier sieht man den Autor (rechts) mit einer Robbe (links) beim Baden im Atlantik (unten, 15°C). Der Kopf des Tieres (kein Fisch) sieht aus wie von einem dicken Opa mit Glatze und Schnauzer, ein putzscher Anblick. Man wird als Autor durchaus interessiert beobachtet. Wenn das Raubtier abtaucht und einem zutraulich um die Beine schwimmt, sollte man allerdings nicht unbedingt daran denken, dass es auch über kräftige Zähne verfügt.