Archiv für den Monat: April 2022

Ein Blick zurück

Die beiden letzten Vertreter einer Designrevolution (1986)

Wie üblich ignoriert von den Westmedien, hatte sich in den 80er Jahren in der Zone eine Designrevolution ereignet, die das Potential in sich trug, die Welt der Schreibgeräte in ihren Grundfesten zu erschüttern. So drängte das VE Kombinat Filzstifte, Hausschuhe und Mattenprodukte mit einem innovativen Schreibset auf den Markt, das sich durch konsequente Reduktion, äußerste Attraktivität und konkurrenzlos günstige Fertigung auszeichnete. In einem transparenten Schuber (Plaste und Elaste aus Schkopau) wurden 37 (Jahre seit Gründung der DDR) hochwertige, farbenfrohe Filzstifte präsentiert. Im Gegensatz zur bis dato weltweit praktizierten einfallslosen Methode, die Zeichenfarbe mehr oder weniger treffend durch die Farbe des Stiftes zu visualisieren, wurden alle Gehäuse in einem freundlichen Gelbton konzipiert. Die Zeichenfarbe erkannte der Kunde mühelos am dezenten, entsprechend eingefärbten oberen Pfropfen des Stiftes. Auf den Leipziger Frühjahrs- und Herbstmessen der folgenden Jahre erregte die ästhetische Erfindung wahre Begeisterungsstürme, das Farben-Chaos auf den Schreibtischen der Republik, der Sowjetunion und des übrigen Auslandes sollte von nun an ein Ende haben. Als i-Tüpfelchen stellte die Kombinatsleitung in Aussicht, während der nächsten Fünfjahrpläne neben den „Gelben Mäppchen“ auch solche in weiteren Farben zu entwickeln und anzubieten, zunächst natürlich eine rote Edition und später, je nach Verfügbarkeit der entsprechenden Pigmente, Mäppchen ganz in blau, lila oder frühlingsgrün. Leider wurde diese erfreuliche Entwicklung schon kurz nach der Auslieferung der ersten Prototypen im Jahre 1989 durch die sogenannte „Wende“ zunichte gemacht. Die Treuhandanstalt verbrannte die entsprechenden Patentunterlagen, verkaufte das Kombinat für eine Mark an einen „Investor“ aus dem Schwarzwald, der seitdem die Millionen eingelagerter Hausschuhe auf den Wochenmärkten der Region um Stuttgart feilbietet. Die Filzstifte sind in Vergessenheit geraten, nur zwei haben überlebt als stumme Zeugen einer vertanen Chance: der Chance auf ein würdiges Schreibtisch-Ambiente unserer Zeit.

Der Rost

Der Rost heißt Rost
von wegen Rost.
Ich warte auf die Päckchenpost
mit einer neuen Drahtbürste,
denn abends gibt es Bratwürste.
Doch vorher muss ich kratzen.
Sonst ist es für die Katzen.

Fatalismus light

​Das zeigt, was die Zukunft ist:
Wolken, Nebel (englisch: Mist).
Keiner weiß etwas genaues.
​Ich, im Zentrum des Verhaues

​wilder Lebenslauf-Entwürfe
​(wo ich fleißig Cocktails schlürfe)
sag mir: Es ist eh ganz Wurst.
Hauptsache, es hält der Durst.

Abenteuer des Treppenhauses

Auf zur Pokerrunde mit den Bleichgesichtern!

Der kleine Herr Schönleben, der schon seit einigen Wochen das Treppenhaus seiner Wohnanlage mit Westernkostüm und Zündplättchenrevolver unsicher machte, weil er mittlerweile eine aggressive Form von Laptopphobie entwickelt hatte, suchte auf Anraten seines Therapeuten Zuflucht in einem streng getakteten Tagesablauf. Geweckt wird seitdem 0700 mit Fanfarenstößen, 0900 erscheinen die Rindviecher (Chef, Art Director) auf dem Monitor und werden mit Peitschenschlägen bedacht, Punkt 1000 wird der Postkutsche aufgelauert und 1230 beginnt die gemütliche Pokerrunde im Dürüm Kebab Saloon unten rechts. Alle weiteren Abenteuer des Tages ergeben sich aus der Tauglichkeit der Spielkarten, denn man spielt nicht nur um Geld, sondern auch um Urlaubstage, Freizeitausgleich und die betriebliche Altersvorsorge, was der Brisanz der Angelegenheit durchaus zuträglich ist.

Die Grenzen der Schönheit

Je größer das Grundstück, um so größer die Wahrscheinlichkeit, an seinen Grenzen auf hässliche, das Auge des Ästheten beleidigende Stellagen zu stoßen, dachte Karl Gong seufzend beim Anblick des Garagenhofes – hinter den neu erworbenen Quadranten D37/D38 seiner Liegenschaft – , auf den die Unangetraute ihn völlig aufgelöst und in höchstem Maße empört hingewiesen hatte, nicht ohne die in schneidendem Ton vorgebrachte „Bitte“, unverzüglich entweder a) den Komplex unauffällig niederzureißen, b) die „uns zugewandten Fassaden“ hübsch anzustreichen oder c) die Bruchbuden gleich zu kaufen, „nächstes Jahr sind die sowieso fällig“; nur die von Karl Gong favorisierte Variante, den Frühling einfach machen zu lassen und abzuwarten, bis Blatt- und Heckenwerk den Schmott hinter sich verdecken, fand vor dem strengen Gericht der Holden keine Gnade, denn dabei handele es sich lediglich um durch Naturliebe verbrämte Faulheit, die es mit Stumpf und Stiel auszurotten gelte.

Neu bei Nitzsche

Hiermit zur aufmerksamen Nachrichten-Konsumtion wird bekanntgegeben von A. Nitzsche, Getränkehändler in Machern (man muss nur machern), dass die Erfolge des durch Guano-Beigabe genährten und von Uns verarbeiteten Kraftbierhopfens (Preis des Doberschützer Feuerwehrballes [Damen]) eine weitere kräftige Fütterung der einheimischen Vogelwelt sinnvoll erscheinen lassen. Meisenknödel können jederzeit im Getränkemarkt gegen Ausreichung eines Verkostungsgutscheins á 20 ml abgegeben werden (nur Großpackungen). Ende der Durchsage. Nitzsche, Chef

Osterinselspaziergang

Natürlich war ich noch nie auf der Osterinsel, dachte der kleine Herr Schönleben, aber irgend etwas muss ich doch in meinen Reiseblock hineinschreiben. Die Lesenden fordern Futter, und die Futternden lesen nebenbei. Der Herr Oligarch hat dringend angeregt, diesen Reiseblock zu schreiben, und in den Geschichten vor allem die von ihm vertriebenen Getränke prominent zu erwähnen.

Seufzend schlich der kleine Herr Schönleben auf die Wiese seiner Wohnanlage, machte ein Foto der Plastik, die zu Zonenzeiten dort aufgestellt und aus Gründen ihrer schieren Masse noch nicht gestohlen worden war, fabulierte einige Zeilen von seinem vermeintlichen Osterinselspaziergang, den er unter Austrinken mehrerer Wegbiere (Marken hier einsetzen) vor Jahren absolviert haben wollte, und wie er unter einem der herrlichen, gigantischen Steinköpfe einschlief, zwischen Gänseblümchen und, äh, ja, Gänsen eben, etcetera-pp. Als er wieder aufwachte, fiel es ihm nicht schwer, zu beschreiben, wie er aufwachte; er räumte die Flaschen weg und registrierte mit einem kurzen Seitenblick, dass die Dame in der achten Etage gegenüber schon wieder die rote Lampe entzündet hatte. Das Leben ist anstrengend, dachte der kleine Herr Schönleben, wenn man eine so gute Beobachtungsgabe hat wie ich.

Vom großen Ganzen

Vierzehn Zähne hat das Rad.
Damit macht es mächtig Staat.
Will von seiner Größe lügen.
Doch wir werden ein es fügen

ins Getriebe aller Tage:
Vierzehn-vier, und weiter plage
dich im Monat und im Jahr.
„Bitte Öl!“ – „Ja.“ – „Danke.“ – „Klar.“

Ein Arbeitstag

Freudig bewegte sich der kleine Herr Schönleben auf dem vom Getränke-Oligarchen geliehenen Elektrokarren durch sein Home Office und verbrachte die „mit freundlichen Grüßen für zündende Knaller-Ideen“ als Geschenk beigelegten Semtex-Dosen in den Kühlschrank. Die Emanzipation vom Art Director der Agentur, dem „Artklops“, hatte sich gelohnt, und der Gedanke daran, wie das alles einmal enden solle, zumal ihm für die Kampagne nichts, aber auch gar nichts einfiel, raubte ihm noch nicht den Schlaf, in den er nach mehreren Pirouetten auf dem famosen Fahrzeug fiel, tief in den Fernsehsessel versunken. Er träumte ein paar gute Werbetexte, die sich reimten, hatte sie aber schon beim Aufwachen wieder vergessen, und machte sich ein veganes Wurstbrot.

Der Glückskassenbon

„Her mit die Penunze!“ rief der Räuber.

„Dit kannste vajesssen!“ entgegnete ich, unwillkürlich in Buletten-Dialekt verfallend.

„Bist wou ne Bulette, oder was?“ fragte der Räuber.

„Ick weeß ni, wat dir dit anjehen tut!“ rief ich, im Unklaren über die Richtung, die die Konversation einschlagen könnte.

„Nu zeich schon ma her die Börse. Können uns ja einigen.“ Er war sehr kräftig, die Nacht war dunkel, der Ort menschenleer. Ich beschloss, kein Risiko einzugehen und hielt das Innere meiner Börse in den Strahl seiner Taschenlampe.

„Na, zappendusta, wa?“ fragte er mitleidig und fischte dann meinen Glückskassenbon aus dem Geheimfach. „Whow, dit jefallt mich“, versuchte er mich nachzuäffen, „dit nehm ich mit mit mich, Meiner.“

„‚Meiner‘ ist anhaltinisch, du Wurst“, rief ich ihm nach, als er um die Ecke verschwand. Jetzt musste ich wieder eine ganze Weile zum Fleischer gehen, um einen neuen Glückskassenbon zu ergattern.