Oma Steckwurst verfügte über ein Gedächtnis wie eine Elefantin. Deshalb wunderte sie sich nicht, als der Blasegaster Ordnungsvollzieher Walzer-Karle-Major Einlass begehrte, um sie über einen lange zurückliegenden Fall auszufragen, den er gern ihrem Mieter Schrudel unterschieben wollte. Die Sache war fast verjährt, man hatte aber zur Weihnachtsfeier auf der Wache mit den alten Akten lustige Spiele veranstaltet und Wetten abgeschlossen, ob sich nicht doch noch irgend jemand schnappen ließe. Schließlich gibt es das auch im Fernsehen.
Walzer-Karle hatte der Ehrgeiz gepackt, immerhin nannte er sich unberechtigterweise Major, seine Karriere war ins Stocken geraten, und so zog er erst einmal ordentlich Luft durch die Nase, als die Steckwursten ihm frischen Kaffee und Stollen hinstellte.
„Sie wollen mich jetzt aber nicht bestechen, Gnädigste?“ näselte er, bereits mit dicken Backen kauend und malmend.
„I wo, Karle, weißt du doch, und weil wir gerade dabei sind: Der Schrudel ist wie ein Deckchen, immer gewesen, der ist ein Lieber, der macht sogar die Hausordnung! Und wenn er die Asche rausbringt, legt er ein Brett auf den Kasten, dass der Mist ni wegfliegt! Wie ein Deckchen ist der Schrudel!“ wiederholte sie mit Nachdruck, klopfte mit harten Knöcheln auf den furnierten Kaffeetisch, dass die Löffelchen tanzten und Walzer-Karle ein paar Krümel in die Luftröhre gerieten.
Als er, der sich in Hustenkrämpfen auf dem Teppich gewälzt hatte, endlich wieder das Sofa erklimmen konnte, um mit Kaffee nachzuspülen, erzählte ihm seine Gastgeberin ganz nebenbei von den bisher ungelösten Kriminalfällen im Blasegast der letzten zwei Jahrzehnte, nannte ihm Namen und Adressen der Täter und ließ sich blumig über die Motive, Herangehensweisen und Komplizen aus sowie über Typen, Alter und Kennzeichen der jeweiligen Fluchtfahrzeuge, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass darunter kein Krause Duo war und somit Schrudel als Verbrecher in keinem der Fälle in Frage kommen konnte. Da sie jeden Blasegaster und jede Blasegasterin von Kindesbeinen an kannte, waren ihre Angaben über alle Zweifel erhaben und Widerspruch zwecklos.
Walzer-Karle, der seinen Notizblock vergessen hatte und vom Vorabend her sowieso noch unter entsetzlichen Kopfschmerzen litt, konnte sich kaum eines der Details merken und verabschiedete sich von der Vorstellung, mit Schrudel als überführtem Verbrecher unter dem Arm in die Wache zurückzukehren und Ehre sowie Beförderung zu empfangen. So trollte er sich nach der vierten Tasse Kaffee unter einer Reihe von Bücklingen vor der Gnädigsten, torkelte im Koffeinrausch die brüchige Treppe nach unten und rollte unter Vollzug nervöser Schlenker, Beschleunigungs- und Bremsmanöver mit dem Streifenwagen zur Wache zurück, um „den ganzen alten Mist“ zu shreddern.
Oma Steckwurst in ihrer Eigenschaft als Vermieterin des Schrudel indes verfasste am selben Abend eine sehr individuelle Mieterhöhung für denselben, sofort zahlbar, „wenn Sie endlich das hässliche Diamant-Collier, das Sie der Schmitten, dieser alten Elster, vor neunzehn Jahren entwendeten, beim Höker zu Geld gemacht haben, MfG usw.“