Kategorie-Archiv: Geerdet & kurzgeschlossen

Geerdet & kurzgeschlossen

Das schlampige Sonett vom Ende

Sieht aus, als müsst ich enden heute.
Drum kommt in meine Arme, Leute,
und schaut, was in den letzten Jahren
die Lipsigrader Themen waren.

Ihr findet Perlen, groß wie Bälle,
Gedichte, einfach auf die Schnelle
oder als schlampige Sonette
gereiht auf eine lange Kette,

dazu die Bilder, digitalen,
geklaubt aus hohen Hochregalen
und mit Erläuterung versehen,

die Haiku, streng nach Silbenzahlen:
Erzeugt mit Spaß und ohne Qualen.
Lest laut und lacht. Ich muss jetzt gehen.

Verstörendes Vorkommnis

Polizei im Haus? Notschalter!

Wir hatten die Polizei im Haus. Das war nicht schön.

„Eintreten! Polizei!“ sagte die Polizei. Oder so ähnlich. Jedenfalls hatten wir sie an der Backe. Und nichts gemacht! „Wir haben doch gar nichts gemacht!“ riefen wir im Chor. Die Polizei lachte höhnisch.

Ich zog den Anwalt aus dem Schrank. „Sie sagen erst einmal gar nichts“, sagte der Anwalt zu mir. Er roch alt und war ungekämmt. Ich legte ihm den dunkelblauen Filzmantel über, der mit ihm im Schrank gehangen hatte, damit ihm die Eingewöhnung leichter fiele.

Die Polizei ermittelte währenddessen im Kühlschrank. Füllstände! Das kann sich hinziehen, zumal diese ja wechseln, über den Abend hinweg. Auf dem Hof hatten es sich inzwischen die verschiedenen Polizeistaffeln gemütlich gemacht, Hunde-, Pferde- und Fahrradstaffel, auch die Motorradäquilibristen hatten ein lauschiges Plätzchen gefunden. Nur die Hubschrauber kreisten orientierungslos, bis sie sich schließlich auf die Suche nach einem gut gefüllten Stadionvorplatz machten, wo eine zünftige Derbyschlägerei befeuert werden könnte.

Ich fand noch ein bisschen Kartoffelsalat im Kühlschrank, brühte ein paar Wiener Würstchen auf, wir öffneten eine um die andere Flasche und diskutierten die Unterschiede zwischen Hell- und Pilsbier. Niemand hatte Lust, irgendwelche amtlichen Stanzen nachzusprechen, Formulare auszufüllen oder Tatortkommissare zu imitieren, es wusste ja auch keiner im Haus, worum es eigentlich ging. Jemand hatte angerufen, das war verdächtig, denn wer ruft heutzutage noch an?

Pünktlich 2150 wurden die Beamten von ihren elektronischen Geräten über das Schichtende informiert, ohne Hast packten sie ihren Krempel zusammen, leerten die Neigen, tippten an ihre Mützchen und empfahlen sich. Das Standardprotokoll, gültig ohne Unterschrift, stopfte ich dem Anwalt in die Mappe, bevor ich ihn wieder im Schrank unterbrachte, zusammen mit dem Mantel.

Im Fernseher startete der übliche Nachhole-Tatort des dritten Programms, aber ich hatte genug gesehen.

Komplexes Abenteuer

Frohgemut rollte Karl Gong, dem die Unangetraute einen Einkaufszettel in die Geldbörse geschoben hatte, ganz ohne Elektronik und KI-Telefonprogramm, einfach nur einen Wisch mit einer Liste der unbedingt anzuschaffenden Dinge des täglichen Bedarfs, denn viel länger als bis morgen würden die beschafften Produkte nicht reichen in Anbetracht des von Gong aktuell auserkorenen Lieblings-Transportmittels, das nicht einmal über einen Gepäckraum verfügte, was ihr, der Holden, aber in der gegenwärtigen Situation gar nichts ausmachte, denn ganz oben auf der Liste stand „Der kleine hübsche Vorgarten von Oma Steckwurst mit der geschnitzten Sitzbank und dem sehr dicken Gartenzwerg“, und Gong hatte nicht widersprochen noch die Augen verdreht, sondern rollte also mit eng anliegenden Scheuklappen, denn das Elend konnte man sich nicht ansehen, durch seine gefährlich knisternden Felder und Wälder, die von der Unangetrauten im Überschwang angeschafften Liegenschaften unter gleißender Sonne, und mit dem frisch gefüllten Rucksack (Wurst, Käse, Butter, Brot, Milch) würde er neben Oma Steckwurst auf der Bank sitzen, den Kaufvertrag unterzeichnen und aus dem Zwerg, der einzigen noch funktionsfähigen Pumpe des Landkreises, eine Gießkanne frischen Grundwassers für den Kanister unter der Sitzbank fördern.

Neu bei Nitzsche

Aller verehrter Kundschaft zur Kenntnisnahme anheimgegeben von A. Nitzsche Getränkehändler in Machern man muss nur machern dass die auf Initiative des Hofarbeiters (Problembär) entstandene Kuschelecke in Halle 12 mit angeschlossener Cocktailbar NICHT NUR vom Hofarbeiter betreten und weidlich genutzt werden darf sondern auch vom übrigen Personal außerhalb der Arbeitszeit sowie von der Kundschaft nach erfolgreicher Bezahlung und Verbringung der Waren in mitgebrachte Kraftfahrzeuge. Der Hofarbeiter ist nicht berechtigt Kundschaft aus diesem Bereich zu entfernen Ausnahme grobe Zuwiderhandlungen die Regeln 1-769 des Getränkemarktes sowie Menschenrechte bzw. Rechte des Chefs betreffend. Ende der Durchsage. Nitzsche, Chef

Das schlampige Sonett von den Donnerkeilen

Ich entdecke Rolle, Spitze,
während ich am Kurstrand sitze:
Belemniten, sandig, stumpf
zieh ich abends aus dem Strumpf.

Kaum zu glauben: Diese waren
einst vor zig Millionen Jahren
Tintenfische, gern frittiert,
hätten Griechen existiert

damals hier an den Gestaden
oder Spanier, Kroaten,
Römer auch nicht zu vergessen.

Und Germanen in den Schenken
hätten zwischen allen Ränken
frischen Donnerkeil gefressen.

Vergebliches Bemühen

Der kleine Herr Schönleben hatte nach mehreren Zusammenstößen mit dem Art Director, aufsässigen Kunden und dem Idioten, der neuerdings auf Null-Euro-Basis die Claims für das Stadtmarketing verfasste („Wohnen Sie hier — es lohnt sich!“ „Warum?“ „Darum!“) das Gefühl, er müsse sich mit dem Chef der Agentur besser stellen. Also lieh er sich, während der Chef die Mittagspause „in der Sauna“ verbrachte, dessen Hausschlüssel aus, ließ ihn bei Minister Minit kopieren und lauerte am Abend desselben Tages auf dem Katzenbaum in der Chefwohnung darauf, dass der Inhaber nach Hause kommen und ihn ordentlich durchkraulen würde. Leider hatte er sich gerade erst die Nägel geschnitten, so dass er nicht an dem wirklich famosen Baum herumkratzen konnte, und, nochmals leider, brach der Chef just an jenem Abend zu einem Kurztrip „in die Staaten“ auf, um neue Kunden zu akquirieren. Welche Staaten er damit meinte, blieb unerwähnt. So konnte der kleine Herr Schönleben nach einer langen Nacht im engen Katzenhäuschen, das er auch noch gegen die zudringliche Chefkatze verteidigen musste, nur unverrichteter Dinge den Rückzug antreten, die Verwarnungen und Abmahnungen blieben in der Personalakte stehen und der Null-Euro-Idiot auf dem Drehstuhl direkt gegenüber hocken, denn Homeoffice war mittlerweile abgeschafft worden.

Von der Gastfreundschaft

Karl Gong, der auf einer seiner Inspektionsreisen über die von der Unangetrauten neuerdings „billig, das glaubst du nicht“ erworbenen Liegenschaften eine feldherrenhügelartige Anhöhe bestieg und bei Fotografenwetter und -bewölkung plötzlich eine Art Binnenmeer unter sich liegen sah, schauderte leicht, suchte sich eine Astgabel für besseren Ausblick, entschärfte das alte Jagdfernglas und erspähte zu allem Überfluss eine Art Seebrücke, ein wenig malade, aber nach schreinermäßiger Überarbeitung, zu der ihn die Holde mit zuckersüßen Worten gewiss bald drängen würde, sicher geeignet, das eine oder andere Kreuzfahrtschiff, vielleicht auch einen Fischkutter oder Panzerkreuzer oder Hubschrauberträger in Not zum Landgang zu animieren, er sah sich schon mit diversen Urlaubsreisenanbieterkonzernen kommunizieren und eine gemütliche Speisung der Tausende anbieten, mit der Holden als strahlender Gastgeberin, Bier vom Fass und Fettbemmen mit saurer Gurke, den örtlichen Traditionen der Gastfreundschaft entsprechend, aber zunächst einmal würde er sich auf einer Karte vergewissern müssen, zu welcher Region sein frisch erworbener Besitz zu zählen sei, um mit den angepriesenen Traditionen keinen Fauxpas zu begehen (Labskaus? Palatschinken? Tiramisu? Köfte?).

Auf dem Sonnendeck

Ich habe hier
ein volles Bier
und noch ein Süßgetränk:
Das ist heut mein Geschenk.

Was du nicht willst,
was du nicht killst,
das schlürf ich gnädig leer.
Fällt mir weiß Gott nicht schwer.

Doch sollte dir
nicht sein nach Bier
und nicht nach Zuckersaft,
wird beides auch geschafft

allein durch mich.
Das glaubstu nich?
Na siehste. Küsschen. Probst.
Und nimm dir gern das Obst.

Das schlampige Sonett vom vorderen Salon

Von dieser Reise das Bonbon
ist klar der vordere Salon.
Den will mit seinen fuffzig Plätzen
ich ganz allein mit dir besetzen.

Denn zählst du im Kalender mit,
so hab ich Grund zu diesem Schritt:
Wir werden hier die Gläser heben
auf alle Tage Überleben

in schwerer, dunkelgrauer See
auf rosarotem Kanapee.
Dann schippern langsam wir ins Koma.

Und sinken wir vor Juliusruh,
spielt die Kapelle schräg dazu
vom Kreuzfahrtdampfer „La Paloma“.

Korrekturwunsch

Gerade Christo-Epigonen
sollten sich nicht zu sehr schonen.
Die Idee kann nur verfangen,
wenn die großen Tücher hangen

nicht nur an den Simsen, Traufen —
Linnen weiß an Gummischlaufen —
sondern auch vor Fensterscheiben.
So, Kollegen, kanns ni bleiben!