Kategorie-Archiv: Vom Reisen

Vom Reisen

Im Grenzgebiet

grenzgebiet
Echtfoto mit bewaffneten Organen

Heute morgen kurz vor dem Aufwachen befand ich mich auf dem Weg zur Ostsee im Grenzgebiet zwischen DDR und BRD. Doch statt zwischen verwurschtelten Buchen das Meer schimmern zu sehen, wurde mir nur ein rasend schnell durchlaufendes Bild präsentiert, wie damals bei unserem alten Fernseher. Ich suchte den in meiner Erinnerung langen, dünnen, glattschwarzen Knopf (beinahe Zylinder, aber immer noch Kegelstumpf), der unbedingt gefühlvoll zu drehen war, um das stroboskopierende Bild in Mittellage zu zwingen. Ein feinmotorisches Vermögen, das nicht jedem in der Familie gegeben war, vergleichbar dem, eine TU 144 auf der Autobahn zu landen.

Als das Bild endlich stillstand, tutete nicht das Küstenschutzschiff, sondern der Wecker, und ich starrte die Fototapete an, die auch mal gewechselt werden könnte.

 

Der See

see

Der See ist mit dem Meer
durch einen Stich verbunden.
Ein echtes Nadelöhr.
Ich brauch vierhundert Stunden
nach Hamburg mit der Yacht.
Der Schleusenwärter lacht.

An der Schranke

schranke

An der Schranke Wartezeit.
Über dir Alarm.
Wolkenwasser kommt von weit.
Treten hielte warm.

Nasse Hose, nasse Schuh.
Triebzug schnarcht vorbei.
Doch die Sperre bleibt noch zu.
Heute kommen zwei.

Viertelstunde. Kurbel. Seil.
Winkend übers Gleis.
Fahrradwandern ist schon geil.
Schutzblech? Nasser Steiß.

Bitte bewerten Sie Ihr Hotelzimmer

bettbaer

Als der Problembär nach dem Urlaub sein Postfach aufräumte, fand er auch die dringliche Forderung seines Reisebüros, doch bitte das gebuchte Zimmer, in dem er einige Nächte zugebracht hatte, zu bewerten, damit weitere Reisende aus seinem Probewohnen Nutzen zu ziehen in der Lage wären.

Der Problembär versuchte sich zu erinnern. Da war die straff eingestellte Klimaanlage und die schier unendliche, weiße Bettfläche, auf der er sich vorkam, als würde er seine freien Tage nördlich des Polarkreises verbringen, was ihm nicht im Traum eingefallen wäre, der gefährlichen Eisbären wegen. Immerhin strahlte die Abendsonne so lange ins Gemach, dass er in der Lage war, die Nachttischlampe zu erreichen, bevor die Dunkelheit hereinbrach. Erschöpft war der Problembär schließlich eingeschlafen, während der Kühlschrank in unerreichbarer Ferne vor sich hin ratterte, den Bauch voller mitgebrachter Getränke.

Um das Hotel nicht in Schwierigkeiten zu bringen, sah der Problembär von einer Bewertung ab.

Die beinahe vollendete Ballade vom Entdecker

segelboot

Ich kam an meinen Strand.
Da lag ein weißes Boot.
Jemand ging hier an Land.
Ab jetzt beginnt die Not.

Mein Land ist nun entdeckt.
Mein Land ist nun bekannt.
Mein Land ist aufgeschreckt.
Es ist nicht mehr mein Land.

Ich nehme schnell das Boot.
Ich fahre übern Teich.
Entdeckung, Freunde, droht.
Und wenn ihr Pech habt, gleich.

Was euer war, ist mein.
Ich reiche euch den Tand.
Ich spür am Kopf den Stein.
Ich falle in den Sand.

Das allerdings ging fix.
Sie kochen mich im Topf.
Bald bin ich nur noch nix.
Und auf dem Pfahl mein

Schattenseiten des Modereisens

hotel

Überall im Land verfallen die Hotels, seit der Pauschaltourist es vorzieht, sich auf unförmigen schwimmenden Regalen über die Binnenmeere transportieren zu lassen. In vormals stolzen, fahnengeschmückten Etablissements bleiben die Filterkaffeemaschinen kalt, die Schmelzkäseecken unangeliefert und die Raduga-Fernseher stumm. Die abblätternden Häuser können den Standort nicht wechseln, es sind außen keine Rettungsboote für die Passagiere angebracht (das Personal nimmt die Mopeds), und einen blitzeblanken, feixenden Kapitän mit weißen Kauleisten und güldenen Sternchen auf den gepolsterten Schultern hat man im Böhmischen Paradies sowieso noch nicht gesehen.

Überfahrt

channel

Stürme peitschen grünes Wasser.
Fähre krängt, Espresso schwappt.
Passagiere werden blasser.
Die Begleitungsmöve schnappt

nach den Teilen, die dem Mund
eines Fahrgasts jäh entfliehen.
English Breakfast. Ungesund.
Konsequent wird ausgespien.

Unter Deck Kakophonie:
Jaulende Alarmananlagen.
Schwankend hin zum Duty Free.
Alkotester nachzufragen.

Der inkonspirative Balkon

balkon

Ich sollte das Dokument übergeben. Natürlich war ich nervös. Man übergibt nicht jeden Tag Dokumente, die man nicht kennt, an Personen, die man nicht kennt. Genauer: Ein Dokument, eine Person. Schlimm genug.

Der verabredete Balkon strahlte in hellem Licht. Ich war irritiert. Sah so das Setting für die vertrauliche Übergabe eines Dokumentes aus? Dann konnte ich es ja gleich im Radio übertragen! Aber dazu müsste ich das Radio erst einmal finden. Den Sender. Ich schweife ab.

Der Zettel mit der Hausnummer in der Hosentasche knistert. Ich nehme ihn heraus. 48 wahrscheinlich. Blitz und Brezel. Es ist so gekrakelt. Und dunkel ist es auch, rundum. Wie bitte soll ich die gekrakelte Nummer auf dem Zettel lesen können? Es müsste Leuchtzettel geben. James Bond hat sicher Leuchtzettel.

Wenn ich ein Klapptelefon hätte, könnte ich es elegant aufklappen und die Nummer auf der Seite mit dem Display ablesen. Natürlich könnte die Nummer auch auf der Seite mit der Tastatur vermerkt sein. Mit Leuchttasten. Dann würde ich aber die Reihenfolge nicht kennen. 48 ist nicht 84. Bei langen Straßen wird es noch schlimmer: 198, 189, 819, 891, 918, 981, 198189.

Müßige Gedanken.

Ich stehe vor dem Haus mit dem erleuchteten Balkon. Falsche Nummer. Ein Mann tritt von hinten an mich heran, zischt mir irgendwie bösartig ins Ohr, nimmt mir das Dokument grob aus der Hand und verschwindet in der Dunkelheit. So ein Wüterich! Aber mein Problem hat sich erledigt. Das unbekannte Dokument ist nun im Besitz einer unbekannten Person.

Niemand hat den Balkon betreten oder verlassen, wobei ich nicht glaube, dass dort überhaupt jemand sitzt. Oder liegt. Man weiß ja nie. Vielleicht ein schlafender Papagei. Wenn Papageien überhaupt schlafen. Meerschweinchen schlafen. Hamster auch, obwohl sie gar nicht lange leben.

Eigentlich dürfte ich das alles gar nicht schreiben.

Nebel über dem Kanal

stonehenge

Die Busreise nach Stonehenge verging wider Erwarten wie im Fluge; wir sahen uns die komischen Säulen an, schnitzten unsere Namen hinein, aßen Pommes rotweiß mit Cola, fotografierten ein paar Ansichtskarten, um sie elektrisch zu versenden und ließen uns vom anwesenden Auskenner einen Überblick über die geschichtlichen Zusammenhänge aufsagen (römischer Limes, Wikinger, Hanse, Manchesterkapitalismus). Engländer waren nicht anwesend, wahrscheinlich waren sie im Stadion oder schon komplett ausgetreten. Ein Besuch im Pub rundete den Abend ab und reimte sich sogar.

Das Dreieck

gully

Letztens befuhr ich, was selten genug vokommt, mit meinem Automobil eine der glatten Straßen des ansonsten bemitleidenswerten Ortes, in dem ich meine Arbeit zu verrichten habe. Plötzlich verschwand etwa fünfzig Meter vor mir ein Dreieck in einem Gully. Für eine Ratte passte die Geometrie nicht, ein Hai wäre unlogisch gewesen, denn so viel hatte es nicht geregnet. Neugierig drosselte ich das Tempo, und tatsächlich tauchte schließlich kurz vor der Haube, als wäre es das natürlichste von der Welt, ein Vogel aus dem Gully auf, sah mich kurz aus seinen schwarzen Knopfaugen an und flatterte seines Weges.

Zu lernen gibt es aus dieser Begebenheit zweierlei: Erstens, Augenkontakt im Straßenverkehr ist wichtig, und zweitens, der Ort ist doch nicht so bemitleidenswert, wie ich dachte.