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Entwicklungsvorsprung

Die gerühmte Automobilindustrie unseres einzigartigen Landes entwickelt rollende 300-PS-Smartphones, jederzeit online verbunden mit irgendwas (keiner weiß genaueres), geeignet zum autonomen Dahingleiten mit 250 km/h anderthalb Meter hinter dem Vordermann, völlig geräuschlos, abgesehen von den durch Heerscharen von Sounddesignern synthetisch erzeugten Schnatzknallblubberklängen, selbst für Greise unumkippbar, frei von potentiellen Kollisionen, sicher wie Atomkraftwerke, gefedert wie Indianerhäupte, schön wie tausend Models plus Überholprestige, es ist eine Freude und ein Grund zu überbordendem Stolz auf das Erreichte und den Irrsinn, der noch kommen wird.

Was leider nicht geht, weil ja soviel anderes an diesen Karren zu entwickeln ist (siehe oben): Dass der komplett von seiner Fahrmaschine überforderte Pilot, wenn er denn mal zum Stehen gekommen ist, daran gehindert wird, die Tür direkt vor einem dieser sogenannten „Radfahrer“ aufzureißen, der dann leider die Tür, den Kotflügel und vielleicht sogar die Rolex am Handgelenk des Piloten verkratzt, während er im hohen Bogen durch Luft und Eisen schrammt.

Wäre wirklich zu teuer, dafür auch noch zwei Sensoren zu verbauen und drei Zeilen Code zu schreiben. Übertriebenes Extra, technologischer Overkill, Bevormundung des Piloten, Eingriff in seine Entscheidungsautonomie. Sollen die blöden Radfahrer doch Schritt fahren auf ihrem blöden Radweg.

Vom Siegeszug des Fahrrads

Gangschaltung
Obacht Kettenstaubmäuse!

Löblich ist es, dass die berühmten deutschen Automobilhersteller sich auch abseitigen Gebieten zuwenden, um neue Kundschaft zu gewinnen oder die eigene aus Umsatzgründen für abseitige Beschäftigungen zu begeistern, das „Radfahren“ zum Beispiel. Solches hätte man in grauer Vorzeit nicht für möglich gehalten, als nichtmotorisierte Verkehrsteilnehmer lediglich knirschend unter extrabreiten Reifen wahrgenommen wurden.

Nein, man baut jetzt auch Fahrräder! Und nur vom feinsten, versteht sich! Design! Muss sein! Großes Kino.

Wie allerdings der geübte Betrachter im Zentralen Fahrmaschinenschautempel schmunzelnd zur Kenntnis nimmt, ist man bei der Präsentation noch ein wenig unbeholfen unterwegs, mit Stützrädern sozusagen: Während die Hostessen an den glänzenden vierrädrigen Fahrmaschinen jeden frech von Betrachtern aufgeschmierten Fingerabdruck unverzüglichst abwischen, dürfen sich an der Gangschaltung des Fahrrades durchaus ein paar geschwindigkeitshemmende Staubmäuse ansiedeln. Wobei allerdings jegliche Bewegung sowieso durch mehrere Stahlseile mit Vorhängeschlössern unterbunden wird. Fahrräder werden einfach öfter geklaut, soviel weiß man ja.

Erinnert mich an eine andere berühmte deutsche Automobilschmiede, bei der ich ein Leihrad orderte, um nach Hause zu kommen, als die Fahrmaschine kaputt war: Damenrad mit Körbchen, Reifen platt, keine Luftpumpe im Palast, dafür zwei Hostessen, die suchen halfen. Hab dann das am wenigsten platte Rad genommen und zu Hause aufgepumpt. Aus Kulanz sozusagen.

Unfassbar!

Cospisee mit Stadt

Ich war mit dem Farad in der Natur unterwegs. Hatte mich in kürzester Zeit bei strahlender Sonne komplett eingesaut. Schön wars.

Auf der Heinzelstraße überholte ich mühelos einen Pedalisten, der wie ein Turm auf seinem Farad saß, ein wenig blondhaarig und irgendwo auf der Karriereleiter zwischen Hilfsassistent und Juniorprofessor bzw. Weltherrscher befindlich (mein Eindruck, wenn man mich auf der Dienststelle gebeten hätte, ihn zu beschreiben).

Am Kreuz wartete ich wie vorgeschrieben auf Ampelgrün. Bevor dieses erscheint, schiebt sich der Pedaleur vor mich.

Ich kann das nicht leiden.

Es passiert mir jeden Tag, dass langsamere Pedalheure, die ich eben überholt hatte, sich an Ampeln wieder vor mich schieben. Damen auf eselsgleich quietschenden Rädern. Hilfsmotorbenutzer. Rentner auf dem Weg ins Krankenhaus. Aus Wettbewerbsgründen (ätsch, bin doch schneller, du Loser) oder um sich schon bei Rotlicht zwischen die Fahrmaschinen werfen zu können. Danach muss ich wieder an ihnen vorbei. Auf handtuchschmalem Radweg, zwischen ausgetickten Motoristen. Immer wieder. An jeder Ampel.

Ich hasse es.

Heute probiere ich mal die Frage: „Was soll das denn jetzt?“

Eigentlich erwarte ich gar keine Antwort. Aber im Pedaliker habe ich einen Schalter umgelegt. Den Ausraster eingerastet bzw. ausgerastet, ich kenne mich da nicht so aus. Den Schnapphahn gespannt. Vielleicht hat er drauf gewartet. Er starrt mich fassungslos an.

Es wird grün, ich umkurve ihn, während er auf mich einpeest. Etwas in der Art von, dass das wohl nicht wahr sein könne. Er hört gar nicht mehr auf, hinter mir! Er brüllt und ruft, die Passanten werden aufmerksam! Bloß weg hier! Ich zeige ihm die internationale Radfahrergeste „nicht schnattern, kurbeln“ nach hinten. Das hilft, setzt ungeahnte Kräfte in ihm frei, er rollt plötzlich neben mir her, guckt wild, fletscht die Zähne! Überholt mich, schimpfend und malmend! Ich bin beeindruckt, fasziniert, aufgeschreckt! Soviel Kraft auf einmal! Muss ich um mein Leben fürchten?

Er fordert eine Erklärung!

„Ich hatte dich überholt, oder?“ sage ich patzig, während der Pedalierende mich mit brennenden Augen anstarrt.

„Auch noch zu blöde zum Siezen, oder was?“ brüllt er mich an, mehrmals. Er will es wissen! Bin ich zu blöde zum Siezen?

Ich überlege kurz, ob ich zu blöde zum Siezen bin. Nein.

„Ich hatte Sie überholt, oder?“, aber die dumme Wiederholung meiner Erklärung löst die bedrohliche Situation nicht auf, mittlerweile versucht er mich gegen den Bordstein zu drängen, umzuwerfen, zu zerstampfen, zerquetschen. In einer letzten panischen Kraftanstrengung mache ich mich frei, ziehe davon, 40, 50, 60, 70, 80 Stundenkilometer die Magistrale hinauf zur rettenden Behausung. Ich unmöglicher Rüpelradler!

Hinter mir brüllt der Pedalistiker, abgehängt, aber ungebrochen: „Unfassbar! Unfassbar! Unfassbar! Unfassbar!“