Schlagwort-Archiv: Karl Gong

Vom Hören

kopfhoerer

Zu den Guten Vorsätzen für das Neue Jahr, die Karl Gong bereits in der ersten Woche zu den Akten gelegt und damit ein für allemal als irrelevant aussortiert hatte, gehörte jener, den Einlassungen seiner Unangetrauten endlich einmal zuzuhören bzw. überhaupt „zu hören“, eine permanente Aufforderung, die stets mit den drohend ausgestoßenen Phrasen „Jetzt hör mal her“, „Höre mal“, „Würdest du mir mal zuhören“ eingeleitet wurde und Gongs Nerven aufs Äußerste spannte.

Gleichwohl hatte er in der schwachen ersten Stunde des Jahres, in die Arme jener geliebten Frau gepresst, zugesagt bzw., wie später von ihr behauptet, „geschworen“, als unumgängliches Vorhaben DAS HÖREN in seinen Jahresplan der auszuführenden Großtaten aufzunehmen, Großtaten allerdings nur für ihn, selbstverständliche Pillepalle für die unersättliche Gefährtin.

Egal, das Vorhaben war bereits im Ansatz gescheitert, denn zwar fand sich das Behältnis des technischen Utensils ganz hinten im Küchenschrank, aber die Hörer waren verschwunden, wahrscheinlich ausgemistet, dafür lagen fein säuberlich gestapelte Servietten im Karton.

‚Nicht meine Schuld‘, dachte Karl Gong und verschwand im Schuppen.

Aufregend aufragend

nachthaus
Das neue Hochhaus in der Kreisstadt

Karl Gong, der sich nach Monaten der Fron auf dem Grundstück der Unangetrauten einige Stunden Erholung ausgebeten und schnaubend erhalten hatte („Wieso Erholung, es war doch eben Weihnachten?“), begab sich in die nahe gelegene Kreisstadt, um endlich einmal etwas anderes zu riechen als Wildschweinatem, Pferdedung und Saporoshez-Abgase, frei schritt er die Gassen entlang, blickte staunend in die Höhe, sah all die Lampen funkeln und blitzen, staunte zu den erleuchteten Fenstern der Bürger hinauf, die in geheizten Wohnungen ihre behaglichen Abende verbrachten, und als er gar auf einen ausladenden Platz einbog, erblickte er hinter den bereits unerklärlich aufragenden Wohngebäuden das neue Hochhaus der Kreisstadt, das eigens für den Bürgermeister errichtet worden war, damit er einen besseren Überblick über die renitente Bevölkerung erlangen konnte, und Karl Gong, dem von all der Moderne schon die Herzklappen schlackerten, holte sich an einer Imbissbude einen Tee ohne Zucker (für mehr reichte das Taschengeld nicht), wärmte sich so lange wie möglich die Hände daran und trank in winzig kleinen Schlucken, bevor er wieder auf seinen unangetriebenen Tretroller stieg, denn das Klapprad hatte er Am Kombinat über den Graben geworfen und in all dem kaputten Unrat nicht wiedergefunden, weil es selbst schon sehr kaputt gewesen war.

Von der Kreisstadt nach Hause ging es bergab, die stolzen Orte im Lande waren auf Hügeln erbaut, während sich die bemitleidenswerten in die Täler duckten, Karl Gong ließ den Roller laufen, achtete auf seine Haltung, schob sich immer wieder elegant und kraftvoll ab, nahm die Kurve bei der alten Schulzen mit Schmackes, verfehlte die Brücke über den Kratzbach, weil er von einem Schlagloch ausgehoben wurde, und flog über den Zaun von Schuldirektor Schnöttke, der ihn mit einem Grog auf das Sofa bettete und zwei Tage lang über die Straßenverkehrsordnung belehrte.

Im Banne der Allopathie

oval

Karl Gong, dem seit Tagen etwas weh war, denn die Holde hatte ihm ihren Wunschzettel auf das Klappbett im Schuppen gelegt, wo er seit Wochen nächtigen musste, weil die Arbeiten am Grundstück nur schleppend vorangingen, jede Minute zählte, um den Rückstand aufzuholen, und ein Schlendern des Gong zum Abendbrot oder auch nur unter die Dusche hatte tunlichst zu unterbleiben, sollten die ehrgeizigen Meilensteine erreicht werden, auch wenn er hungrig war wie ein Mistkäfer im Sterilraum und dreckig wie irgendwas, Gong hatte zu funktionieren, was allerdings nicht funktionierte, also schlich er zur Drogen-Handlung, um Allopathische und Homöopathische Arzneimittel ohne Wissen der Unangetrauten durch das Oval der abendlich geschlossenen Tür entgegenzunehmen, zahlte eine Unsumme, schlich noch geschlagener als auf dem Herweg zurück in den Schlamm seines Anwesens, fraß schon unterwegs eine größere Menge seiner Beute auf, denn es handelte sich ja um geringdosierte Wirkmittel, die nur durch den Willen des Patienten zu voller Blüte gelangen, spürte plötzlich eine unbändige Kraft, Zuversicht, Willensstärke und Aufsässigkeit in sich aufsteigen, dachte aus ihm nicht erklärlichen Gründen immer wieder an das Oval, aus dem ihm die paradiesischen Pillen und Säfte zugesteckt worden waren, ein Licht durchfuhr sein Hirn, ein helles flutendes Licht über grüner Flur, wie er das entbehrt hatte auf der ruinierten Rasenfläsche voller Schrunden, Abgründe und Torf, er heizte den Raduga-Fernseher vor, richtete die Antenne aus und sah sich im Schuppen, eine Pille nach der anderen mit den geheimen Drogensäften herunterspülend, die Oberliga-Konferenzschaltung an.

Karl Gong im Gebirg

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Karl Gong, der sich vor Wochen im örtlichen Getränkehandel den Hochstapler „auszuleihen“ erlaubte, bereute beim stolzen Betrachten des neu geschaffenen Steingartens nur ganz klein wenig das Hausverbot, das ihm daraufhin der böse Bierhöker ausgesprochen hatte, zumal die Holde ihn endlich einmal verhalten lobte, ihm einen kurzen Blick aus ihren glutvollen Augen schenkte und einen Besuch auf der Notliege im Stall in Aussicht stellte, wo er seit geraumer Zeit nach seinem Tagwerk zu nächtigen hatte, was ja auch ganz romantisch sein kann.

Am Kombinat

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Karl Gong, der zu seiner Unangetrauten wegen diverser offener Bauvorhaben auf dem durch illegale Landnahme ins Unendliche mäandernden Grundstück ein leicht angespanntes Verhältnis entwickelt hatte, bereiste auf der Suche nach einem Getränkemarkt, in dem er noch kein Hausverbot hatte, die etwas weiter umliegenden Gemeinden mit dem Klapprad, denn der kugelförmige Saporoshez, der von der Holden zärtlich als Es Ju Wie bezeichnet wurde, musste zwei Kaltblutpferde im Anhänger zu Brauhauswagenzugwettbewerben trecken, was sein zwar nicht frühes – stammte er doch nach Gongs Vermutung aus den mittleren Sechzigern des letzten Jahrhunderts – aber demnächst zu erwartendes Ableben beschleunigen würde.

In einem der vergessenen Walddörfer, dessen Bewohner mittlerweile ausnahmslos alle Getränke im sogenannten Internet bestellten und deshalb die Existenz jeglichen Getränkehandels verunmöglichten, warf er das Klapprad in der Nähe des Kombinates über einen Graben, ließ sich kraftlos ins Gras fallen, sah dem Buntspecht zu, der sich in die Giebel der frisch mit Styropor verkleideten Siedlungshäuser wühlte, lobte im Stillen den grauen, harten, streng haftenden Betonputz der Vorzeit und starrte einer vorbeischlorkenden Hundertjährigen dermaßen dehydriert auf die blaugrün gemusterte Kittelschürze, dass sie ihm aus dem Internet-Paket auf ihrem Lastenrollator eine Flasche Industriebier fischte, „kostenlos“, aber nur, weil er den Dialekt der Gegend beherrschte, wovon sie sich vorher gründlich überzeugt hatte.

Vorhersehbares Wegdriften der Realität

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Neuronaler Unscharfpunkt nach Gofthe (Maler)

Kaum etwas bereitete Karl Gong so viel Freude, verschaffte ihm aber auch so viel Aufregung wie das Wegdriften, das langsame Auslöschen seines Verstandes beim Übergang vom öden Bearbeiten der Dokumente in den sich nach dem Mittagessen automatisch einstellenden Bureauschlaf. Die Realität verwischte und vermischte sich hinter seinen geschlossenen Lidern mit den Figuren, die ihm aus seinen Albträumen nur allzu bekannt vorkamen, die also an der Pforte zum schlummernden Wahnsinn herumlungerten, ihn an die Hand nahmen und in ihre seltsamen Verrichtungen hineinzogen, mitgegangen mitgehangen, er war zu schwach, sich zu wehren.

Die Unangetraute, die des Abends darüber wachte, dass er sich nicht mit verdächtigen Gestalten einließ, hoppelte fern von ihm auf dem Rücken eines Pferdes über den Acker, zu dem die verfluchten Wildschweine seine schöne Wiese gemacht hatten, alles frisch eingesät, er hatte sich so viel Mühe gegeben, nachts, denn tagsüber hatte er die Stallungen für die Pferde errichten müssen, Wildschweine mit Hauern so lang wie der zugegeben extra kurze Fahrradlenker, den er sich als Kind vom Dorfschmied hatte schweißen lassen, nackt also schwebte die Holde auf ihrem Apfelschimmel über die niedergerissenen Grundstücksmauern, hinter ihr her in glänzend goldener Rüstung der Schnabel-Schorsch von gegenüber, so jagte er sie, die mittlerweile erblondete, hühnenhafte Frau, das Spalier der Dorfkretins höhnte zu ihm herüber, die Fratzen, die er nur zu gut kannte, ergötzten sich an den Reitenden; die stoben über den von meterhohen Kakteen bewachsenen Dorfanger, der sich bis zum Getreidesilo erstreckte, aus dessen aufgeschlitztem Dach ein übergroßer, mampfender Sperling keckernd und feixend herausschaute; heiße, rotglühende Eifersucht überschwemmte Karl Gong, nur noch übertroffen vom klatschenden Entsetzen, als der Schnabel-Schorsch von einem dahinrasenden gelben Schulbus aus Wellblech mit voller Wucht seitlich gerammt und pulverisiert wurde.

„Plong!“ machte Karl Gongs Knie, als es mit voller Wucht von unten gegen die Tischplatte seines Schreibtischs knallte. Er riss die Augen auf, starrte die Mayersche an, die mit wehender Unterschriftenmappe an ihm vorbeischnöselte, und speicherte endlich seine bearbeiteten Dokumente.

Die rasende Eifersucht auf den Schnabel-Schorsch ebbte erst nach einigen Tagen langsam ab.

„Welcher Schnabel?“ fragte die Holde, als Gong sie nach einem der üblichen abendlichen Rapports vorsichtig auf den Nachbarn ansprach. „Es gibt hier keinen Schnabel.“

Zweifelnd legte Karl Gong den Kopf schief, erwiderte nichts und trollte sich. Grüßen würde er den Kerl jedenfalls frühestens im nächsten Jahr wieder, wenn überhaupt.

Das Duell mit der Großmeisterin

damengambit

Nachdem Karl Gong von seiner Unangetrauten, die sich vorher vergewisserte, dass er nicht heimlich in die Feinheiten des Damengambits zu dringen versucht hatte, zum Schachspiel gezwungen, unter Verlust nur eines Bauern die Eröffnung überstanden und tatsächlich auf einen Fehler der Holden hin deren weißen Läufer erbeutet hatte, was in ihm ein hämisches Gefühl erzeugte, dessen er sich ein wenig schämte, ging er forsch zum Angriff auf die Dame seiner Dame über, die sich frech vor die Deckung gewagt hatte, um ihn feixend matt zu setzen, und nach einem kleinen Kuddelmuddel warf sie mit ihrem König nach ihm, den Stuhl und den Kopf mit dem wallenden Haar nach hinten und verkündete, dass es dann wohl heute für ihn kein Abendessen geben würde, denn er müsste sowieso noch den Stall ausmisten und die Kaffeemaschine für die Reiterinnen auseinandernehmen und zusammensetzen und überhaupt sieht das Grundstück aus wie Mist, woraufhin Karl Gong für eine Stunde das Weite suchte, hinter dem Heuschober still triumphierend Däumchen drehte und wartete, dass die Großmeisterin ihn mit Schnitzeldampf und dem Angebot einer einstweiligen Versöhnung wieder ins Haus locken würde.

Ein Froschteich

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Biologische Lurchteichanlage Grundstück Gong

Karl Gong, dem die Unangetraute unaufhörlich in den Ohren lag, um Terraforming-Aktivitäten in Gang zu setzen, denn ein großes Grundstück verpflichtet zur Refinanzierung, und die irgendwann Geld verdienenden Pferde verpflichten zur Bereitstellung von Auslauf, Stallungen, Pferdeanhängern und Hafer, und die sich mittlerweile auf dem Hof tummelnden, Geld einbringenden Reiterinnen verpflichten zu einer teuren Kaputtschinomaschine, Zerstreuung, WLAN, Duschen und Umkleidekabinen, und die aufgrund der naturnahen Verwahrlosung des Grundstücks eingewanderten Lurche verpflichten zum Ausgraben einer artgerechten Teichlandschaft, — Karl Gong also nahm Spaten, Hacke und Wasserwaage in die Hand, denn in seinem Universum genossen die unschuldig quakenden Frösche allerhöchste Priorität, selbst vor der Unangetrauten, außerdem ließ ihn auch seine widersprüchliche Sympathie zu Störchen zunächst den Lurchteich ausheben, das Erdreich verteilen, die Böschungen bepflanzen und einen Badesteg einbauen, bevor er sich den Stallungen für die Reiterinnen und dem Prosecco für die Gäule widmete und feststellte, dass er nicht mehr wusste, wo ihm der Kopf steht.

In eigener Sache

Heute vor 15 Jahren erschien der erste Beitrag der Gazeta Lipsigoroda. Mittlerweile sind es um die 3200. Professionelle Industriepoeten würden diese Kennzahlen in der heutigen kurzlebigen Medienwelt mit ihren hoffnungsvoll aufschießenden und verglühenden Blocks zu einer Erfolgsgeschichte hochjubeln, wenn es denn Leser der Gazeta gäbe. Einer meldet sich immer wieder einmal, ihm gebührt herzlicher Dank für Treue und Zuspruch.

Es ging dem Autor allerdings immer nur darum, etwas loszuwerden, Ideen zu kitzeln, selbst Spaß zu haben und den Leserinnen Freude mit „lustigem Humor“ (Zitat Herr Willy) zu machen. Gäbe es Lipsigrad nicht, gäbe es keinen Grund, in Bildern zu kramen und sich dazu Geschichten auszudenken. Der Autor würde es verlernen und muss es also darum üben und ausüben. Im Grunde ein egoistischer Anspruch, weshalb Interaktion in Form von Comments, Likes, Dislikes, schlichtweg Community-Gebaren, abgelehnt wird.

Zwei Mitstreiter, denen Ehre und Wertschätzung für ihre Beiträge gebührt, strichen wegen mangelnder Resonanz auf die Mühen des Frohsinns die Segel; ihre Beiträge bleiben bestehen, solange der Server läuft. Herr Willy als einer der beiden Initiatoren ist auf dem Wege, wohin? Herr Jürgen pflegt mit dem Autor die Kunst des Minderheiten-Kinogangs mit Getränken.

Größter und herzlichster Dank gilt den uneigennützigen Technischen Ermöglichern des Ganzen: Peter N. & JU & Zucker. Vor ihnen beugt der Autor das Haupt und geht auf die Knie — Danke! Danke! Danke! Zunächst installiert wurde in Lipsigorod ein handgemachtes Autorensystem, später, in Lipsigrad, eine fette ausländische Blockmaschine. Auch wenn der Autor selber „was mit Computern“ macht, bleibt die Ehrfurcht vor den wirklich Wissenden immens.

Wird es weitergehen? Ja. Ohne Geld und ohne Werbung und ohne Kommentar. Mindestens noch fünf Jahre. Tag für Tag. Täglich neu. Wenn nichts dazwischen kommt bis zum Zwanzigsten.

Weiterhin viel Spaß beim Kucken.

Herr Nu

dazu der Problembär, Adolf Nitzsche (Getränkehändler in Machern, man muß nur machern), Karl Gong nebst Unangetrauter, Oma Steckwurst, Gisella Quarterbeck, der blinde Herr Schrudel, Gofthe (Maler), Klempner Patzschke aus der Rhön und der kleine Herr Schönleben.

Niemals zum Lfulg

lfulg

„Nein!“ rief Karl Gong panisch. „Ich will nicht hin zum Lfulg! Niemals!“

„Du kommst jetzt. Bitte!“ sprach die Holde mit gespieltem Oberlausitzer Akzent, obwohl gar kein R bzw. r im Satz vorkam. „Wirds bald?“

Karl Gong konnte sich ein mit verstohlenem Seitenblick geflüstertes „Wirds haus“ nicht verkneifen, er kam sich vor wie ein Zweitklässler, der an den Ohren durch die Klasse zum Direktor geführt wird. Nun musste er wohl oder übel hin zum Lfulg, die Straßen waren grau wie der Himmel, nie wieder würde die Sonne auf ihn scheinen, schließlich war sowieso das helle Licht auf Jahre hinaus aufgebraucht durch die beiden letzten Sommer, er würde im Lfulg eingeschlossen werden und verrotten und die Holde hätte endlich Ruhe vor ihm.

„Von was für einem Lfulg redest du denn überhaupt die ganze Zeit?“ fragte ihn die Holde, als sie ihn endlich mit Gewalt über die Schwelle des Heimatmuseums gezerrt hatte, und Karl Gong, der endlich die angstvoll zusammengepressten Augen öffnete, entspannte sich, eilte zu dem ausgestopften Uhu und streichelte ihm ganz sacht über die Federn, die aussahen und sich anfühlten wie sein alter Hirschbeutel von 1982.

„Ach, nichts“, flüsterte Karl Gong, ließ sich von der Holden die heimischen Gesteinsschichten aufsagen, die Milchproduktionszahlen herbeten und das lichte Haupthaar streicheln. Ein harmonischer Feierabend nahm seinen Lauf.

Am Bärengraben

baerchen

Karl Gong, dem die Dummheit und das Geschrei einiger seiner Mitbürger zunehmend die Tage schwärzten, verlegte sich darauf, statt des Wirtshauses häufiger den über kleine Umwege erreichbaren Bärengraben aufzusuchen, um Ruhe und Entspannung zu finden, denn die Bären, so schien ihm, wussten zu leben, zwar auf relativ beengtem Raum, unter Aufsicht und mit streng zugeteilter Nahrung, aber sie gingen sich aus dem Weg, wenn es nicht gerade etwas dringendes auszumachen gab, lagen friedvoll auf dem Bauch und blinzelten den Bienen nach, von deren Honig sie nichts wussten, und die es hier, in der mittelgroßen Stadt zwischen den herbstlich kahlen Feldern, gar nicht geben dürfte, und erst das Telefon, das die Holde ihm verboten hatte stummzustellen, holte ihn knarrend und trompetend in den misslichen Alltag zurück, der sich sogleich wie ein Popanz über ihm blähte und ihn, Gong, den bemitleidenswerten, anschnarrte, was aus dem Konsum zu besorgen sei: Brot, Käse, Wurst, Butter, Radler (wieso Radler?), Öl zum Braten, Hackfleisch, Küchenpapier, Zahnpasta; und mitten in dieser Aufzählung des Schreckens brachen die Langeweile und die Trostlosigkeit seines Lebens endgültig in Karl Gongs Gedärme hinein, füllten sie aus wie Teer die Lunge des Rauchers, und endlich, die Liste war zu Ende und bereits zur Hälfte wieder von ihm vergessen, kam er japsend zum Luftholen, wie ein herumgewirbelter Ertrinkender, der zufällig wieder über die Wasseroberfläche geraten war.

„Und Honig?“ fragte Karl Gong tonlos. „Was ist mit Honig?“

„Was willst du denn mit Honig?“ versetzte die Holde. „Honig ist noch.“

Energiewende in den Kiefernbeeten

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Windrad-Errichtung in den Kiefernbeeten (Vorschaubild)

Der Fön hatte wieder einmal die Hauselektrik lahmgelegt. Mit bösem Schnaufen baute sich die Holde zwischen Karl Gong und dem erkaltenden Fernseher (Röhre) auf.

„Wir wollen in einer Stunde zur Oper hin“, erläuterte sie das Problem gewohnt sachlich. „Unternimm was.“

Seufzend griff Karl Gong nach dem Mobiltelefon. Das funktionierte ja noch. Er rief Klempner Patzschke in der Rhön an und bestellte ein Windrad.

„Ja, Herr Patzschke, hinten in den Kiefernbeeten. Sie wissen ja. Da ist rechts der Schuttberg. Aber das Windrad ist doch so hoch, dass die Thermik nicht gestört wird. Oder? Klar.“

Gong legte zufrieden auf: „Gleich morgen bekommen wir ein Windrad für den Fön, Liebste.“

„Morgen ist die Oper vorbei“, schmollte die Holde. „Tu was.“

Knarrend erhob sich Karl Gong vom Sofa. Er plazierte sich vor dem Sicherungskasten und drückte die Fönsicherung nach oben. Immer wieder, bis die Haare der Holden getrocknet waren.

Ab morgen würde die Welt wieder komfortabler sein.

Vom Pool

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Karl Gong, dem die Klempnerei ein ewiger Quell des Misstrauens geblieben war, besonders jene, die die Installationen in seinem Haus und den zahlreichen Nebengebäuden zu verantworten hatte, stand, von stillem Entwetzen gelähmt, am Pumpenschacht seines Swimmingpools, betrachtete den blubbernden Schmott zu seinen Füßen, verfluchte die Handwerkskunst des Sanitärgelehrten Patzschke, der nach dem Bezahlen der letzten Rechnung über die Anbringung des Handtuchhalters in der Gästetoilette das Weite gesucht und gefunden hatte, also auf Nimmerwiedersehen der Erbringung jeglicher Garantieleistungen entwischt war, nicht ohne Gongs Herzdame einen fetten Kuss auf die Backe gedrückt zu haben, was diese ohne erkennbaren Widerwillen und unter späterem Hinweis auf die Notwendigkeit des Gutstellens mit dem Handwerk über sich hatte ergehen lassen, und reckte die Arme zum Himmel, die Hände zu Fäusten geballt, denn nun würde er in die herbstlich erkaltete Brühe steigen müssen, ohne Neoprenanzug, nur mit Taucherbrille, Schnorchel und Rohrzange, und die Herzdame würde in ihrem knappen Bikini über ihm stehen, das immerhin, und ihn antreiben, denn die Sonne versinkt nun schneller hinter den Birken, „die auch mal wieder einen beherzten Schnitt vertragen könnten, oder?“, und es wäre ja wohl das Mindeste, nach dem Tag im Bureau ein erfrischendes Bad im wärmenden Nachmittagslicht nehmen zu können, wenn schon kein Gläschen Sekt und kein Gürkchen und kein Schälchen Kaviar auf dem Tisch steht, aber was soll man immer nur reden usw. usf.

Das Pferd im Garten

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Pferd im Garten (Symbolbild)

Karl Gong, der sich seit Tagen über das Pferd wunderte, das im Garten stand, im Stehen zu schlafen schien und von Zeit zu Zeit den Kopf zur grundwasserpumpenbefeuchteten Wiese senkte, um ein Hälmchen zu zupfen, näherte sich diesem Pferd von der Seite, denn er hatte als Kind genügend Geschichten gelesen, in denen ein dummer Stadtmensch von hinten an ein landwirtschaftliches Nutztier herangetreten war und von diesem per Hufschlag niedergestreckt und somit auf Distanz gehalten wurde, fuhr vorsichtig seinen Arm aus, um über die weiche Mähne des sehr großen Tieres zu streichen, welches ihn nun mit schläfrigen Augen freundlich musterte und ihm durch die feuchten Nasenlöcher Pferdinnenluft entgegenblies; er fühlte sich auf seltsame Weise aufgehoben in der Natur, auch wenn es sich genaugenommen nur um seinen sehr großen Garten handelte, der tatsächlich mehr Natur zu enthalten schien als die umgebenden riesigen, totgespritzten Äcker der Pachtbauern, und er legte, was er bis vor wenigen Minuten nicht für möglich gehalten hätte, sogar seinen Kopf auf den Rücken des zugänglichen Geschöpfes, allerdings nur bis zu dem Moment, in dem der Ruf der holden Unangetrauten erscholl, er möge sich schleunigst von ihrem Tier entfernen, das durch ihn, den Grobian, sich zum Unreitbaren hin verändern könnte, und stattdessen lieber die filzigen Ecken des Grundstücks in eine schöne, gepfegte Landschaft verwandeln, vor der die Nachbarn und Würdenträger nicht in Abscheu erstarren, sondern voller Anerkennung verweilen würden.

„Ja, ja“, sagte Gong. Das Pferd stob davon.

Im Vergessenen Kohlenschuppen

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Beispielfoto Bergwerk (stillgelegt)

Irgendwo im Nordostwinkel seines riesigen Grundstücks traf Karl Gong auf den Vergessenen Kohlenschuppen, der im Gegensatz zum Badeofenholzundkohlenschuppen sich langsam aus seinem Bewusstsein geschlichen hatte, und er fand unheimliche Mengen sauber aufgeschichteter Rekord-Briketts vor, vom rissigen Betonfußboden bis zur porösen Decke, kaum konnte er den Fuß in den efeuüberwucherten Bau setzen, ohne sich schwarz anzuschmieren mit der Patina des sagenumwobenen Brennstoffs, Kohle!, und er reckte den Hals, um abzuschätzen, wo denn die Schichtung enden würde, das Trumm, das Monster, das sich vor ihm zehn Meter breit aufbaute, oh mein Gott, dachte Gong, vielleicht finde ich noch ein Stahlwerk im Garten, dann wüsste ich, warum das hier alles existiert; und Karl Gong spann sich ein in die Gedanken an den Mythos des Kohleausgrabens aus dem Gestein tief unter Tage, muskelprotzende Kohlekumpel mit freiem Oberkörper, was in seinem Fitnessstudio strengstens untersagt war, oder tief im Schlamm versunkene Schieberaupen im Mitteldeutschen Revier, an Feiertagen ordenbehängte Maschinisten, die wie am Spieß schrien, wenn die Schienen nicht schnell genug mit den Brechstangen zur Seite gerückt worden waren, zum Flöz hin, das darauf wartete, zur rußenden Rekordfabrik gekarrt zu werden in schlingernden, verdreckten, schrottigen Waggons hinter stampfenden Lokomotiven, die geführt wurden von bärbeißigen Raufbolden, und vor lauter Romantik und Adjektiven lief Gong die Nase, tränten die Augen, zitterten die Knie, als die Holde rücksichtslos neben ihn trat, ihm das Knie in den Oberschenkel rammte und sprach: „Ja, das muss auch alles zeitnah weg. Hier wird das Pferd wohnen.“

Zukunft K Punkt Null

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Russischer Trollbot (Beispielfoto)

Karl Gong, dessen Unangetraute gerade die gemeinsame Wohnstatt verließ, weil sie von der zuständigen Künstlichen Intelligenz (KI) mit dem in ihrem Chatprogramm ganz oben stehenden, Gong nur flüchtig bekannten Herrn verheiratet worden war (denn mit diesem verbrauchte sie ja nachweislich mehr Zeit und Gedankenkraft als mit jedem anderen im digitalen und analogen Erdenrund), stand nun reichlich belämmert vor den zur Hälfte ausgeräumten Schränken und Regalen, beschloss aber tapfer, nach einem Blick auf seine eigene Chat-Hitliste, keine Trübsal zu blasen und sich stattdessen auf den russischen Trollbot zu freuen, der sicher demnächst auf Geheiß der für sein, Gongs, Wohlergehen verantwortlichen KI bei ihm einziehen würde, mit einem Eimer Pelmeni, ein paar Stiegen Wodka und jeder Menge getrockneter Fische im Gepäck.

Am Netz

spinnennetz

Die Holde wollte des Morgens hin zum Supermarkt, Katzenfutter kaufen, außerdem Leber (für die Katzen) und junges Gemüse (für sich), jedoch sah sie sich außerstande, den Wagen zu betreten wegen des an diesem über Nacht angebrachten dekorativen Spinnennetzes; schreiend lief sie zurück ins Haus, bremste abrupt vor dem Bett Karl Gongs, der sich eben noch einmal umgedreht hatte, denn er gedachte seinen Gleitzeitvertrag gnadenlos auszureizen, musste nun aber aktiv werden und hinaus auf die Straße wanken, ganz ohne Schlafanzug, den er der Wärme wegen nachts von sich geworfen hatte, das Netz bedauernd mit bloßen Fingern entfernen, was der Holden, die mit aufgerissenen Augen hinter dem Fenster lauerte, Laute des Entsetzens entlockte, zumal Gong, an den Fingern zupfend, von denen die Reste des Netzes und an diesen vielleicht sogar, Gott behüte, einige Spinnen baumelten, dem Haus zustrebte, so dass sie gezwungen war, die Tür vor ihm zuzuschlagen mit der Drohung, sie erst wieder zu öffnen, wenn sein, Karl Gongs, Körper garantiert spinnenfrei wäre.

Gong fummelte in aller Seelenruhe alles Spinnerte von seinen Extremitäten, lächelte in die Morgensonne, genoss den Tau, der sich von den eigentlich auf dem Gehweg unerwünschten Gräsern auf seine Füße übertrug, und beschloss, vielleicht doch schon vor zehn im Bureau zu sein, denn so ein Morgen bot doch einiges an Überraschungen, die man im Bett grunzend kaum erleben dürfte.

Die Drohung mit den Damenschrauben

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Undurchsichtige Drohung (Beispielfoto)

„Es wird Zeit, dass wir die Damenschrauben anziehen, mein Lieber“, hatte die Holde zum erschauernden Gong, Karl, gesagt, dem jegliche Vorstellung fehlte, was das bedeuten könnte, der aber sehr wohl verstand, dass es sich um eine schwerwiegende Drohung handeln musste, denn die Holde sah ihn aus pausenlos feuernden Augen an, mit zusammengekniffenen Lippen und zart vom leichten Abendwind bewegtem Pony.

„Jawohl!“ sagte Karl Gong, und „Aye Aye, Mylady“, und das rettete ihm den Kopf, denn er sprach das „y“ in „My“ korrekt als „i“, nicht als „ei“ aus, so, wie er es von seiner alten Englischlehrerin gelernt hatte; und wenn seine Holde je eine gesteigerte Begeisterung für irgendetwas entwickeln konnte, dann für eine gepflegte Aussprache.